"Spruce Meadows" - eine Familien-Saga Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Dienstag, 14. September 2010 um 14:14

Calgary/ Kanada. Das meiste Geld im Springreiten wird nach wie vor in „Spruce Meadows“ unweit der kanadischen Millionen-Stadt Calgary gewonnen. Insgesamt wurden 2010 bei den verschiedenen Turnieren umgerechnet rd. 4,6 Millionen Euro an Preisgeld ausgeschüttet, allein beim „Masters“ am letzten Wochenende 1.959.000. Davon entfielen auf den Grand Prix 770.000, 250.000 € gingen an den niederländischen Sieger Jeroen Dubbeldam.

Heinrich-Hermann Engemann kam vor vier Jahren erstmals nach Spruce Meadows. Als der 45-Malige Nationen-Preis-Reiter und inzwischen als Disziplintrainer Springen geschätzte Blonde  nach 20-stündiger Anreise auf dem riesigen, geschmackvoll gestalteten Reitsportgelände stand, frotzelte er: „Mich kotzt solche Armut an.“ Die Springreiterwelt wollte und will seit Jahren nach Spruce Meadows vor der Stadtgrenze Calgarys. Nicht nur alleine deshalb,  weil vom Himmel  kanadische Dollar regnen, auch weil jeden einzelnen eine unglaubliche und aufrichtige Herzlichkeit empfängt.  Man trifft sich gerne auf dem Areal der Familie Southern.

 

Seit fünf Jahren nicht mehr in Spruce Meadows war seit 2005 der sonstige Dauergast Ludger Beerbaum (Riesenbeck). Der viermalige Olympiasieger hat sich mit Patriarch Ron Southern (80). Grund: Auf dem nach ständigem Regen, Hagel und Kälte aufgeweichten Platz verweigerten die einzelnen Mannschaften nach einem Umlauf den zweiten Durchgang im Preis der Nationen. Southern tobte und schäumte, es nutzte nichts. Beerbaum (47): „Wir haben einen Umlauf geritten, wir bekommen noch Geld. Und solange nicht gezahlt wird, reite ich dort nicht mehr.“ Ron Southern verweigerte das Preisgeld, er  sah das alles ein bisschen anders und sagte: „Nicht einmal eine halbe Stunde nach dem Streik meldeten alle ihre Pferde für den mit einer Million kanadische Dollar dotierten Grand Prix 24 Stunden später, da war von Schonung der Pferde, schlechtem Boden, Regen und Kälte nichts mehr zu hören, obwohl  noch mieseres Wetter voraussagt wurde.“ Beerbaum später: „Auch wenn ich nicht dort reite, bei so viel Geld will jeder in Spruce Meadows starten..“

 

Obwohl Ron Southern inzwischen für seine Tochter Linda (47) den Sessel als Präsident von Spruce Meadows räumte, das Sagen hat er weiter. Er herrscht nach wie vor auf dem 1,3 Millionen Quadratmeter großen Terrain. Er liebt Tradition und ist hart wie Stahl. Trotz eines schweren Hüftleidens und kaputten Knies steht er wie ein Baum bei jeder obligatorischen Abnahme der Teilnehmerparaden vor einem großen Springen. Er hat auch eigene Regeln in Spruce Meadows eingeführt, die Zeit wird in einem Springen auf Tausendstel gemessen, und wer den Großen Preis zu ende reitet, erhält wenigstens noch umgerechnet 2.500 Euro.

 

Australier Kevin Bacon „entdeckte“ Spruce Meadows

 

Der eigentliche Entdecker des Turniers für den „Rest der Welt“ war  Kevin Ahley Bacon, inzwischen 78, früher ein Wanderer zwischen der alten und neuen Welt. Der Australier fuhr nach den Olympischen Spielen 1976 in Montreal nicht zurück nach Hause,  sondern zigeunerte mit einem alten LKW und Pferd durch die Gegend und schlug die Route von der Olympiastadt Montreal gen Westen ein. Er kam bei Calgary vorbei. Bacon: „Ich sah auf einem Hinweisschild, dass irgendwo ein Turnier stattfand. Ich suchte eigentlich nur einen Stall für mein Pferd und für mich eine Schlafstelle.“ Bingo. Kevin Ashley Bacon („KAB“) war auf  Spruce Meadows gestoßen. Er gewann sogar den ersten dort abgehaltenen Großen Preis des 1. Internationalen Turniers. Gerademal 800 Zuschauer waren gekommen. Doch Bacon, bekannt auch als Raspler von Pferdezähnen, trug wie ein Herold die Kunde der Veranstaltung weiter.

 

Seit 1977 gehört Spruce Meadows zu jenen Orten, die ein Offizielles Internationales Turnier (CHIO) veranstalten dürfen. Die Anlage umfasst inzwischen Stallungen für 400 Pferde (dazu bei Turnieren Zelte für weitere 400), zwei Hallen, sechs Gras- und sechs Sandplätze,  eine eigene TV-Station, 87 fest Angestellte, 20 Gebäude. Jährlich werden fünf Turniere mit einem Preisgeld von insgesamt 4,5 Millionen Euro abgehalten. Für die Bevölkerung steht Spruce Meadows täglich offen.

 

„Tellerwäscherkarriere“ von Ron Southern

 

Ron  Southern selbst hat so etwas wie eine jener bekannten Tellerwäscherkarrieren hinter sich. Sein Vater Samuel Donald, Feuerwehrmann, vermietete nebenbei Anhänger, um dem Sohn das Medizin-Studium in Calgary zu finanzieren. Ron sagte eines Tages seiner Frau Marg, die er während der Studienzeit geheiratet hatte und die Sportlehrerin werden wollte: „Wir machen etwas anderes. Ich übernehme einen Job bei der Alberta Trailer Company“, und er fügte hinzu: „Wir bereuen nichts.“ Er wurde Direktor bei  ATCO, einem riesigen Unternehmen mit 7.000 Mitarbeitern, das beispielsweise u.a. Container-Häuser auf Rädern  mit allem Schnick-Schnack entwirft und baut, Anfang der 50er Jahre ein Glücksfall zum Reichwerden.

 

Ron Southern lebte viele Jahre nur seinem Beruf, er arbeitete 18 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Er engagierte sich zusätzlich in anderen Industriezweigen, vornehmlich aber in der Gas- und Ölförderung des zweitgrößten Landes der Erde. Sein Motto: „Was Du machst, mache es richtig – oder gar nicht.“ Er wurde mehr als wohlhabend. Sein Gesundheitszustand jedoch verschlechterte sich. Seine Frau überlistete ihn, sie brachte ihn zum Pferd als Ausgleich, wie ein Arzt vorgeschlagen hatte. Nachdem die Töchter Nancy und Linda immer besser ritten, erwarb er Land, schaute sich in Europa um und baute eine kleine Anlage, die heute Spruce Meadows heißt. Bei Gert Rietbrock kaufte er 1968 den Hannoveraner Sentgraf, seither ist die Familie Southern zusätzlich mit dem Hannoveraner Verband freundschaftlich und geschäftlich verbunden.

 

Albert Kley wollte nur ein Jahr bleiben...

 

1971 holte er sich Albert Kley (67) vom Landgestüt in Celle  als  Gestütswärter. Bis heute gilt der Vertrag per Handschlag. Albert Kley wollte ein Jahr bleiben, er werde jedoch nach eigenen Worten kaum mehr Kanada verlassen. Er ist in diesem Land als großer Pferdemann von allen geschätzt. Sein Monatsgehalt am Anfang: „Umgerechnet 2.400 Mark, Wohnung frei und ein Auto. Ich sparte im Jahr 10.000 Mark.“ Und er sagt: „Ich konnte ja kein Englisch, aber es gab nie einen Moment, dass Ron Southern angefangen hätte zu schimpfen, weil ihm etwas nicht passte, auch nicht wegen Verständigungsschwierigkeiten. Im Gegenteil: Er fragte immer nur, wo er helfen könne.“

 

Albert Kley hat die Ausbildung der Lehrlinge und das Gestüt von Spruce Meadows unter sich.  Einmal im Jahr sind auf Spruce Meadows rund 600 Schüler aus ganz Kanada eingeladen, sie werden unterrichtet in Pflege, Fütterung, im Satteln eines Pferdes und über  Turnierreglements. Am Schluss dürfen alle selbst aufs Pferd.

 

Und noch andere aus Deutschland sind inzwischen ständige Begleiter der verschiedenen Turniere im Jahr am Rande der Firmenmetropole Calgary, die 1971 noch knapp 450.000 Einwohner zählte, darunter 50.000 Deutsche, inzwischen aber die Millionengrenze übersprang: Nämlich Werner Deeg (59) aus Feuchtwangen und Christa Heibach aus Aachen, Ehefrau des weltbekannten Parcoursbauers Prof. Dr. Arno Gego. Christa Heibach und Werner Deeg, der fast als Nachfolger von Arno Gego Parcours-Chef in Aachen geworden wäre, gehören inzwischen zum ständigen Parcours-Team der Veranstaltungsserie auf Spruce Meadows.

 

Auch Herbert Meyer in der „Ruhmeshalle“

 

Wie nicht anders zu erwarten, wurde auch auf „Spruce Meadows“ eine Ruhmeshalle eingerichtet, und zwar bereits 1975. Zu den 28 Persönlichkeiten in der „Hall of Fame“ gehört seit 2001 auch der frühere deutsche Bundestrainer Herbert Meyer (71). Als einziges Pferd gehört der belgische Wallach Big Ben dazu, auf dem der kanadische Mannschafts-Olympiazweite Ian Millar (63) zwei Mal – 1988 und 1989 – den Weltcup gewann.

 

Ian Millar, der neun Mal an Olympischen Reiterspielen und an den Ersatzspielen 1980 in Rotterdam teilnahm – wird in „Spruce Meadows“ auch als „Bestverdiener“ auf der Geldliste geführt: Insgesamt kommt er bi seinen bisherigen Turnieren auf dem Southern-Gelände auf ein Gewinngeld von umgerechnet rund 2 Millionen Euro. Auf der Dollar-Liste dahinter folgen die US-Amerikanerin und Team-Olympiasiegerin Beezie Madden (1,9) und Kanadas bisher einziger Reitsport-Olympiasieger Eric Lamaze (1,7). Als Achter wird Ludger Beerbaum mit umgerechnet 1,08 Millionen Euro geführt.

 

Um die Nutzbarkeit unserer Seiten zu verbessern, verwenden wir Cookies. Falls Sie mit der Speicherung von Cookies nicht einverstanden sind, finden Sie hier weitere Informationen. Weitere Informationen >>> Cookie-Hinweis.

Hinweis >>>