Der Traum eines kleinen Mädchens...(168) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 22. Mai 2013 um 09:55

 

Polly unter ungeheuerem Verdacht...

Endlich hat Polly ihre Handoperation gut überstanden. Der Heilungsprozess dauerte ja lange genug. Wenn sie ganz ehrlich zu sich selber wäre, müsste sie sich eingestehen, dass sie alles selbst mitverschuldet hatte. Sie begann nämlich zu früh wieder mit dem Reiten. Zu schwer war es ihr gefallen, Annemarie beim Reiten ihrer Beauty zuzuschauen. Also setzte sie sich kurzerhand wieder selber aufs Pferd. Doch zwei Tage später konnte sie die Schmerzen in der Hand kaum mehr aushalten, und der Arzt musste erneut operieren. Das war ihr eine Lehre. Pfingsten hatte sie danach brav durchgehalten und nur noch Annemarie auf Beauty von unten beobachtet.

 

Jetzt aber wollte sie das Training von vier Wochen so schnell wie möglich aufholen. Voller Elan, getrieben von Ehrgeiz, nahm sie das Training wieder auf. Schon in der ersten Reitstunde musste sie feststellen, dass Beauty voll im Training war und sich prima reiten ließ. Anne hatte ihre Sache gut gemacht. Polly musste es zugeben. Aber sie selber machte schlapp. Ihre Kondition war bei Null angelangt. Zu schnell verließen sie die Kräfte, sie musste durchparieren. Dennoch steigerte sie ihr Leistungspensum stetig, jeden Tag ein bisschen länger. Dabei war sie heilfroh, dass kein Muskelkater dazu kam.

 

In der langen Zeit des Zuschauens wurde sie allerdings auch immer launischer. Nie vorher hatte sie sich so unausgeglichen gefühlt. Das bekamen ihre Kameraden zu spüren. Polly ertappte sich selber dabei, wie sie dauernd an allem herumnörgelte. Anne konnte ihr gar nichts mehr recht machen. Ständig hatte Polly etwas auszusetzen. Ihr fiel selber auf, dass sie reichlich ungerecht war. Dazu kam, dass sie mit den anderen Freunden, die sich zu ihr an der Bande gesellten, über die nicht anwesenden bösartig ablästerte. Das war sonst so gar nicht ihre Art. Selbstverständlich bekam ihre Konkurrentin Brigitta am meisten ihr Fett ab. Polly konnte sich  langsam selber nicht mehr leiden. Das zeigte sich auch vormittags in der Schule. Es war so schlimm, dass sie spürte, dass ihr die Freunde sogar berechtigt aus dem Weg gingen.

 

Die gleichen Beobachtungen machte sie auch im Reitstall. Immer öfter fand sie „zufällig“ ihre Freunde beieinanderstehen, ohne dass einer davon ihr vorher Bescheid gegeben hatte. Sie fühlte sich ausgegrenzt. Und das machte sie noch missmutiger.

 

Mit einem Schlag sollte sich das ändern, als sie am vergangenen Samstag wieder ihre geliebte Beauty reiten durfte. Der Arzt hatte es ausdrücklich erlaubt, nachdem beim erneuten Röntgen kein Befund mehr festzustellen war. Polly war mit einem Mal bestens gelaunt und so freundlich zu jedermann wie früher immer. Ganz erstaunt lächelten die Leute zurück. Die „alte“ Polly war wieder da!

 

Als Polly heute Mittag im Reitstall erschien, fiel ihr auf, dass das Licht im Stall brannte. Von zu Hause aus war sie gewohnt, das Licht tagsüber auszuschalten: Strom sparen war angesagt. So hielt sie es auch im Reitstall, obwohl sie überhaupt nichts mit der Stromrechnung zu tun hatte. Seltsam, dass das Licht brannte. Das Personal war nämlich vom Eigentümer auch angehalten, Stromverschwendung zu meiden.

 

Um zu Beauty zu gelangen, musste sie an Solanas Box vorbei. Das war Brigittas Super-Dressurpferd, das Beauty allerdings um wenige Punkte schon geschlagen hatte. Da erst bemerkte sie den Handwerker, der im Begriff war, eine Leiter aus Solanas Box zu tragen. Er hatte ein neues Stromkabel zu den Stall-Lampen gelegt. Daher das Licht, dachte Polly nur. Sie holte ihr Sattelzeug aus der Sattelkammer und nahm dabei gar nicht bewusst wahr, dass Pferdepfleger Pitter Solana zurück in ihre Box führte. Offensichtlich hatte der Handwerker für heute seine Arbeit beendet.

 

Heute war keine Trainingsstunde. Polly konnte Beauty, wie sie wollte, in  der Freistunde reiten. Äußerst gut gelaunt und vor sich hin pfeifend führte sie Beauty in die Reitbahn. Obwohl schon ein paar ihrer Reitkollegen dort ritten, gelang ihr eine richtig gute Trainingsstunde. Sie hatte keinerlei Maleste mit der operierten Hand,. Ihre Kraft schien sich auch wieder in alter Form einzustellen. Beauty lief richtig gut. Anne hatte es ziemlich gut hinbekommen, dass Beauty auf beiden Händen, links und rechts, fast gleichermaßen durchlässig war. Ein himmlisches Gefühl! Polly war begeistert.

 

Mit einem halben Auge nahm sie die Ankunft von Anne wahr, die durch den Durchgang zur Stallgasse kam. Polly wollte Anne ein Kompliment vor allen anderen aussprechen. Aber sie hatte sich getäuscht. Nicht Anne kam in die Halle, sondern Brigitta. Schnell schluckte Polly die freundlichen Worte für Anne herunter, tat so, als hätte sie Brigitta nicht gesehen. Doch sie beendete das Training und ließ Beauty am hingegebenen Zügel Schritt gehen.

 

Ein schriller Schrei zerriss die eher gewöhnlichen Geräusche des Reitstalles. Von Brigittas Gezeter schreckten alle auf. Sogar die Pferde in der Reitbahn hoben die Köpfe und spannten ihre Muskeln an. Auch Beauty.

 

Kreischend schrie Brigitta nach ihrem Vater, der sich in der Tränke aufhielt. Sie rief nach der Polizei und brüllte immer wieder „Hilfe, Hilfe“. Ihr Vater stürmte aus der Tränke, niemand wusste, um was es ging, was passiert war.

 

Keiner konnte Brigittas Worte verstehen, so aufgeregt zeterte sie herum. Dann fiel ihr Blick eher zufällig auf Polly. Mit einem mal war sie stumm. „Du wolltest meine Solana umbringen! Du hast das Attentat verübt. Nur Du bist dazu fähig!“ zischte sie Polly an, so, dass jeder mithören konnte.

 

Beauty war einfach weitergegangen, so dass sich Polly im Sattel völlig überrascht zu Brigitta umdrehen musste, um sie zu verstehen. Aber sie verstand nicht. Die Worte schon, aber nicht deren Sinn.

 

Polly hielt an und sprang von Beauty. Fragend kam sie aus der Reitbahn. Da erschienen zwei uniformierte Polizisten in der Reithalle. Ehe Polly fragen konnte, was überhaupt passiert war, redeten Brigitta und ihr Vater auf die Beamten ein. Diese folgten den beiden zur Box von Solana.

 

Polly versorgte erstmals Beauty. Sie wusste immer noch nicht, was los war. Dann kam Anne, zog sie in die Sattelkammer und schloss von innen die Tür. Beide waren nun alleine, und Anne schaute Polly ernst an. „Warst Du das wirklich?“ fragte die Freundin. Dann erfuhr sie, was sich zugetragen hatte. Jemand hätte in den Futtertrog von Solana Nägel geworfen. Polly wurde leichenblass. Sie hatte nichts dergleichen getan. Niemals würde sie einem Pferd so etwas antun. Egal wie bescheuert der Besitzer war. Und Brigitta war sehr bescheuert. Sie, Polly, hatte aber gar nichts getan. Sie war nicht einmal in der Box von Solana gewesen. Was sollte sie auch dort?

 

Anne ging aus der Sattelkammer. Polly schloss die Tür sofort wieder. Erschüttert über den ungeheuren Vorwurf, traute sie sich nicht mehr zu den anderen. Sie rief ihren Vater an, der sollte so schnell wie möglich in den Reitstall kommen. Polly brachte den Mut nicht auf, die Sattelkammer zu verlassen. Glücklicherweise kam auch keiner ausgerechnet jetzt herein. Immerzu überlegte sie, wie sie klarmachen konnte, dass sie gar nicht der Attentäter sein konnte. Ihr fiel einfach nichts ein.

 

Anne kam wieder in die Sattelkammer. Ganz aufgeregt. Die Kripo sei jetzt auch da. Die Beamten hätten die Nägel in kleine Plastiktütchen gelegt und eingesteckt, um alles untersuchen zu lassen. Nun kamen die Beamten selbst in die Sattelkammer und stellten sich Polly vor. „Wir wollen mal mit Dir reden“, sagten sie wie aus einem Munde.

 

Polly begann am ganzen Körper zu zittern. „Attentat, Attentat“, dröhnte es in ihrem Kopf. „Solana, Solana“ pochte es im Kopf. Polly konnte kaum atmen. Ein Tennisball verstopfte ihre Kehle. Dann erschien ihr Vater. Der schickte Polly in sein Auto. Sie war froh, weg zu kommen.

 

Ständig schaute sie auf die Uhr am Armaturenbrett. Die Ziffern leuchteten. Sonst war es dunkel. So kauerte sie fast anderthalb Stunden alleine in dem Fahrzeug. Sie traute sich kaum Luft zu holen. Auch wagte sie nicht, ihren Vater mit dem Handy anzurufen. Die Welt schien sie im Stich gelassen zu haben. Der Vorwurf war ebenso ungeheuerlich wie unmöglich.

 

Dann klopfte der Reitlehrer an die Autoscheibe und bestellte sie ins Büro, in dem sich alle Beteiligten aufhielten. Nur zögernd stieg Polly aus dem Wagen. Obwohl sie nun schon fast vierzehn war, nahm der Reitlehrer sie an die Hand und zog sie hinter sich her.

 

Alle schwiegen, als Herr van Hopps Polly in das Büro schob. Nur der eine Polizist in zivil, wahrscheinlich einer von der Kripo,  blickte ihr in die Augen. Pollys Vater aber schaute ernst auf Brigitta, die die Augen niedergeschlagen hatte. Herr Neureich, Brigittas cholerischer Vater, wandte sich an seine Tochter. „Also“, sagte er, aber die sagte nichts.

 

„Der Stalltierarzt, Anjas Vater, hat Solana untersucht. Es ist alles in Ordnung“, sagte der Reitlehrer zu Polly. „Brigitta wird sich bei Dir angemessen entschuldigen müssen“, fügte er noch hinzu. Dann sagte Herr Neureich unwirsch: „Die Nägel im Futtertrog waren überhaupt kein Attentat. Es hatte niemand etwas gegen meine Tochter. Der Elektriker hatte die Nägel dort heneingelegt und vergessen. Seine Kunststoffbox war kaputtgegangen. Das war alles“, spulte er seinen Spruch hastig herunter, ohne Polly anzusehen.

 

Zu Hause nahm Mama Polly in den Arm. Die brach zuerst in Tränen aus, später musste sie sich übergeben. Der ungeheuerliche Vorwurf verursachte starke Bauchschmerzen bei Polly. Sie spukte alles aus. Morgen würde sie nicht in die Schule zu gehen brauchen. Dennoch, so einen unberechtigten Vorwurf würde sie ihrer Reitkollegin nie verzeihen.

 

(Fortsetzung folgt…)

 

 

 

 

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