Der Traum eines kleinen Mädchens...(170) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Donnerstag, 13. Juni 2013 um 15:35

Polly darf erstmals füttern...

 

Seit einer Woche steckte das „Gespenst“ Kolik immer noch in Pollys Kopf. Bevor das mit dem Schulpferd Comtessa passierte, hatte Polly schon öfter Gerüchte über das Auftreten einer Kolik gehört. Dann aber war alles Wirklichkeit. Diesmal traf  es ein beliebtes Schulpferd. Das Tier hatte die Krankheit nicht überlebt. Polly musste dauernd daran denken. Angst um Beauty überkam sie. Doch Beauty ging es sehr gut. Keinerlei Anzeichen einer Krankheit. Polly trainierte wie immer, und wie immer mit viel Spaß.

 

In einem Gespräch der Erwachsenen am Tresen der Tränke hatte Polly wohl einiges mitbekommen. So hörte sie, wie der Stall-Tierarzt davon sprach, man könne kolik-anfälligen Pferden etwas Speiseöl über das Kraftfutter geben. Öl würde ein geschmeidigeres Rutschen der Nahrung durch den Schlund und in Magen und Darm bewirken. So könne unter Umständen einer gefährlichen Verstopfung vorgebeugt werden. Polly sperrte die Ohren auf.

 

In dem gleichen Gespräch erfuhr Polly, dass es offensichtlich unterschiedliche Speiseöle gab, die man einem Pferd verabreichen könne. Jemand, der vorgab Erfahrung zu haben, teilte den Zuhörenden mit, dass „ganz normales, pflanzliches Speiseöl" in keinem Fall dem Tier schaden könnte. Man müsse dabei nicht unbedingt das teuerste Diestelöl kaufen.

 

Gleich am nächsten Tag nahm Polly einige Euro vom Taschengeld mit in die Schule. Sie hatte sich vorgenommen, nach dem Unterreicht pflanzliches Speiseöl im Supermarkt zu kaufen. Für Beauty. Nur zur Vorsicht.

 

Mit einer Flasche Öl kam sie in den Stall. Dann stoppte sie aber zunächst ein organisatorisches Problem, das sie bis dahin nicht bedacht hatte. Die Pferde des Reitstalles Hubertus sowie die dort eingestallten Privatpferde, so wie ihre Beauty, wurden regelmäßig morgens und abends von Pitter gefüttert. Der fuhr jeweils mit dem großen Futterwagen durch die Stallgassen, und mit einer großen Kelle kippte er die jeweilige Menge durch eine Öffnung direkt in den Trog. Normalerweise waren die Pferdebesitzer, so wie Polly, nicht dabei. Morgens war sie in der Schule und abends hielt sie sich meistens mit ihrer Clique draußen auf während der Fütterung. Wie sollte sie nun also das Öl über das Futter gießen?

 

Polly dachte während der Trainerstunde darüber nach. Später sprach sie Pitter an. Der blieb wortkarg wie immer. Dann aber schlug er vor, es genauso zu machen wie mit der Medizin, die einigen Pferden verabreicht werden musste. Die Besitzer stellten die Arzneimittel in den Futterwagen und schrieben den Namen des Pferdes und die Menge sowie die Häufigkeit der Verabreichung darauf. Polly sollte also Beautys Namen auf das Öl schreiben. Vielleicht würden nach dem Unglück der vergangenen Woche noch mehr Leute auf so eine Idee kommen. Dass er nur einen kleinen Schluck über das Futter geben sollte, wusste er selber. Die Menge brauchte Polly nicht darauf zu schreiben.

 

Pitter machte dann aber noch eine mürrische Bemerkung, dass ihm immer mehr zusätzliche Arbeit aufgebrummt würde. Es sei jedes Mal sehr lästig, den Vorgang des Fütterns zu unterbrechen, um irgendwelche Ampullen aufzumachen und Medizin und ähnliches, möglichst genau dosiert, dem jeweiligen Pferd zu verabreichen. Pitter knurrte etwas von „Blödsinn“.

 

Polly hatte sich schon umgedreht, um die Flasche Salatöl zu holen. Pitters Bemerkung hatte sie allerdings gehört. So schlimm wäre das doch auch wieder nicht, dachte sie, ein bisschen Öl über Beautys Futter zu gießen. Sie erzählte davon auch abends ihren Eltern, wie sich der Pitter angestellt habe.

 

Für sie allerdings sehr unerwartet stimmte ihr Vater nicht in die Empörung ein. Er hob lediglich die Augenbraue. In aller Seelenruhe schmierte er feine Leberwurst auf seine Brotscheibe. Er schien in keiner Weise vorzuhaben, Pollys Aufregung über den Stallburschen zu teilen. Plötzlich aber schmunzelte er. Sagte immer noch nichts zu dem Thema. Polly wusste nicht, warum ihr Vater plötzlich gelächelt hatte.

 

Am Abend danach passierte wieder etwas Ungewöhnliches. Als Pollys Clique abends zur Fütterungszeit vor dem Reitstallgebäude versammelt war, um abzuhängen und zu chillen, lief Pitter an ihnen vorbei im schwarzen Anzug. Er war frisch geduscht und hatte sich fein herausgeputzt. Unter dem Jackett trug er ein schneeweißes Hemd, dazu eine blaugemusterte Krawatte. Sah gar nicht so schlecht aus, fanden die Jugendlichen. Für einen Pferde-Pfleger…

 

Herr van Hopps erschien am Stalltor. Ausgerechnet Polly rief er zu sich. „Kannst Du mir helfen?“ Wie immer war Polly sofort bereit mit anzupacken. Herr van Hopps bat sie, die Privatpferde zu füttern. Er selber würde die anderen Ställe übernehmen. Dabei gab er Polly den Schlüssel für das Vorhängeschloss an einem Futterwagen.

 

Es war das erste Mal, dass Polly offiziell mit so einer verantwortungsvollen Aufgabe durch den Reitlehrer betraut wurde. Sie war mächtig stolz, dass er ausgerechnet sie um diese kleine Hilfe gebeten hatte. Sie solle eine Kelle voll Mischfutter in jeden Trog geben, sagte er. Sie brauchte dieses eine Mal keine Unterschiede zu machen. Deswegen würde kein Pferd verhungern. Morgen sei der Pitter ja wieder da.

 

Polly schob den randvollen Futterwagen in die Stallgasse. Für die vierzehnjährige  war der Wagen schwer zu schieben. Mit Schwung ging das alles, aber das Anschieben…Mehrmals änderte der Wagen alleine die Richtung und krachte vor eine Boxenwand. Mühsam musste Polly ihn dann rückwärts oder wieder vorwärts in die Spur bringen.

 

Polly untersuchte gleich die verschiedenen Dosen und Fläschchen, die sich im Futterwagen befanden. Ihre Flasche Öl stand auch da. Ganz erstaunt stellte Polly fest, dass sie schon fast ganz leer war. Sie hatte doch gehofft, dass der Inhalt mindestens einen Monat reichen würde. Jetzt war gerade mal eine Woche verstrichen, seit dem sie sie mitgebracht hatte. Das würde ihr Taschengeld drastisch auffressen. Aber für Beauty, egal, da musste sie durch …

 

Vier Pferde bekamen irgendetwas ins Futter. Polly las die Namen der Pferde. Gewissenhaft hielt sie sich an die Vorgaben. Der Futterwagen schob sich schwer schwer. Das hätte sie nicht gedacht. Gerade war er in Schwung und rollte ganz gut, da musste sie schon wieder mit aller Kraft den Karren zurückhalten, weil Aviso Vitamin-Pulver übers Futter gestreut bekommen sollte. Zwei Löffel stand da. Dann ging es weiter. Im Vorbeirollen schaufelte Polly eine Kelle in die nächsten zwei Tröge, dann musste sie wieder alle Kraft aufbringen, um bei Beautys Box den schweren Wagen anzuhalten. Sie maß zwei Suppenlöffel Öl für Beauty ab. Und weiter ging es. Noch zweimal musste sie den schweren Futterwagen anhalten und wieder anschieben. Dann war sie mit Füttern in ihrer Stallgasse fertig.

 

Ganz schön anstrengend, fand sie. Vor allem das Anschieben und Anhalten. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Pitter hatte doch Recht gehabt mit seinem Gemurre. Hätte sie die Mittelchen nicht verabreichen müssen, wäre die Arbeit nicht so schwer gewesen und sie eher fertig geworden. Für Pitter hieß das jeden Abend, früher oder erst später Feierabend zu haben, das wusste sie nun jetzt.

 

Herr van Hopps allerdings lobte Polly anschließend. Sie hätte das sehr gut gemacht. Polly gefiel es, dass gerade im Moment der Lobrede ihr Vater im Stall erschien. Polly sah, wie er dem Reitlehrer ein „Äugsken knipste“. Da verstand sie, dass die beiden Männer verabredet hatten, dass Polly einmal füttern sollte. Ihr Vater hatte mit dem Reitlehrer gesprochen. Da kam es den Männern gerade Recht, dass der Pitter eine Einladung wahrnehmen wollte. Die Gelegenheit, Polly mal zu zeigen, wie schwer diese Arbeit mit den zusätzlichen Handgriffen für den Pferdepfleger war, kam wie gerufen, Arbeit mit den Händen, nicht vom Schreibtisch aus. Polly hatte ihre Lektion gelernt.

 

(Fortsetzung folgt…)

 

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