"Dressur-Aufgabe des Grand Prix zu kürzen geht in die falsche Richtung..." Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Sonntag, 02. Dezember 2018 um 17:55

Christoph Hess - Legat des guten Reitens

(Foto: Kalle Frieler)

Warendorf. Der Diplompädagoge Christoph Hess (67) war 18 Jahre lang Leiter des Bundesleistungszentrums beim Deutschen Olympiadekomitee für Reiterei in Warendorf, Seither ist er unterwegs weltweit als Botschafter für artgerechtes Reiten, ein ehrlicher Herold, der weiß, wovon er spricht und was er predigt. In einem Interview sagt er auch, was sein Traum wäre, wie nämlich in Zukunft bei Dressur-Championaten Team-Medaillen entschieden werden sollten…

 

 

Herr Hess, in letzter Zeit verstehen sich immer mehr Zuschauer bei Reitturnieren teilweise gar als aggressive Tierschützer, Experten und Fehlergucker. Ein Reiter wiederum auf der anderen Seite ist teils machtlos heftigen Anfeindungen zusätzlich durch das  Internet ausgesetzt. Wie soll sich ein Reiter gegen oftmals auch übertriebene und ungerechtfertigte Angriffe wehren?

 

Christop Hess: „Gutes, pferdegerechtes und damit „richtiges“ Reiten ist das Beste, was der Reiter tun kann, um derartige Anfeindungen zu unterbinden. Dass der Reiter diese Anfeindungen nicht gänzlich verhindern kann, liegt am Zeitgeist und an den sozialen Medien, die es den „Schreiberlingen“ leicht machen, sich dort mit Kritik zu produzieren. Zwei Dinge empfehle ich den Reitern: Immer wieder das Gespräch zu suchen und zu erklären, warum sie was von ihrem Pferd verlangen. Unabhängig davon sollten sie aber auch bereit sein für eigene Kritik, besonders dann, wenn sie ihr Pferd in übertriebener Weise geritten haben. Wir Reiter machen immer - mal wieder - etwas verkehrt, überfordern unsere Pferde, schlagen falsche Ausbildungswege ein etc. Dazu müssen wir stehen und immer wieder versuchen, uns reiterlich zu verbessern - und das unabhängig von unserem reiterlichen Niveau.“

 

 

Nun soll nach jüngsten Plänen der Grand Prix noch mehr gekürzt werden, Schritt soll wegfallen, Rückwärtsrichten als wichtiges Zeichen der Durchlässigkeit auch, alles um dem TV zu willen zu sein, wo der Sport teilweise der Stoppuhr geopfert wird. Ist da die gestellte Aufgabe einer Prüfung noch sichtbares Zeugnis des Ausbildungstandes eines Pferdes oder Reiters?

 

Ch. H. „Für mich ist das ein Schritt in die falsche Richtung.Die Elemente, die die Korrektheit der Basisausbildung überprüfen, dürfen auf keinen Fall „geopfert“ werden, damit die Aufgabe kürzer wird. Unabhängig davon bin ich der Meinung, dass wir künftig mehrere verschiedene Grand Prix-Aufgaben unseren Reitern anbieten sollten. Im Springen gibt es ja auch nicht jeden Sonntag die gleiche Linienführung im GP.“

 

 

Der Trend geht fast dahin, vor allem bei Olympia, dass eines Tages nur noch die Kür auf dem Programm stehen könnte, mit vielleicht 15 Startern. Das würde Zeit im Programmablauf sparen, Organisationskosten verringern, weil ja nur noch eine Prüfung mit vorher festgelegter Pferdezahl vorgesehen wäre. Dann wäre doch der eigentlich Sinn der Dressur, Pferde durch richtige Ausbildung zum Glänzen zu bringen, nur noch ein Stück aus der Vergangenheit, oder ist das zu schwarz gesehen?

 

Ch.H.: „Eine gut gerittene Kür ist ein hippologischer Kaviarhappen. Letztendlich ist das gute Kürreiten oftmals schwieriger als das Reiten des Grand Prix.  Deshalb würde ich das Ganze nicht so kritisch sehen. Was ich allerdings für Championate und Olympische Spiele empfehle, ist die Vergabe der Mannschaftsmedaillen nach der Absolvierung von Quadrillen. Das unterhält die Zuschauer, kostet deutlich weniger Zeit als das Absolvieren von Einzelaufgaben, deren Ergebnisse zur Mannschaftswertung addiert werden. Um ehrlich zu sein: ein echter Mannschaftswettbewerb sieht anders aus. Bei den 100 Meter Läufern werden auch nicht deren Ergebnisse zusammengezählt sondern ein Staffellauf verlangt.“

 

 

Die Schweizer Olympiasiegerin Christine Stückelberger moniert in einem Interview die zu hohen Bewertungen für zirzensische Piaffen und Passagen von völlig verspannten Pferden, vor allem in der Kür, die überbewertet werde. Ihr fast radikaler Vorschlag: Auf Championaten keine Medaillen für nicht durchlässige Pferde. Dann gäbe es wieder eine Hinkehr zu Vorstellungen von losgelassenen Pferden, auch Ihre Meinung?

 

Ch.H.: „Christines Meinung in Ehren - von ihrem Grundgedanken her stimme ich ihr zu. So etwas lässt sich allerdings so nicht umsetzen. Damit aber die Richter eine Handhabe haben, um verspannten Pferden niedrige Noten zu geben, ist es wichtig das Rückwärtsrichten, den Schritt und möglichst auch die Schrittpirouetten zu fordern. In diesen Lektionen bzw. in dieser Grundgangart erkennt der Richter, ob der Reiter und sein Pferd ausbildungsmäßig auf dem richtigen Weg sind.“

 

Die Dressurpferde werden auch von der Zucht her immer besser – können die Reiter und vor allem die Richter da noch mithalten, zumal man sagt, die Richterei würde immer schlechter werden, weil die entsprechende Ausbildung fehle?

 

Ch.H.: „Den Satz, dass die Reiterei schlechter wird, unterschreibe ich nicht. Die Pferde sind deutlich besser geworden, doch sie sind oftmals schwieriger „zu bedienen“, als dies bei Pferden in früheren Jahren der Fall war. In früheren Jahren waren die Pferde ihres starken Genicks wegen oftmals unrittig - ließen sich beispielsweise nicht leicht ‚an den Zügel stellen‘, waren dafür aber gutmütig und ‚leidensfähig‘. Viele Pferde haben heute sehr viel Go und sind leicht im Kopf-Halsansatz. Die Folge: Die Pferde sind oftmals eng im Ganaschenwinkel und ziehen nicht genügend an das Gebiss heran. Wer auf den exzellenten Zuchtprodukten heute erfolgreich reiten möchte, muss balanciert und losgelassen zum Sitzen und  auf sicherer Sitzbasis zum Treiben kommen. Das ist eine echte Herausforderung, der wir Ausbilder und Trainer uns heute zu stellen haben.“

 

Der einstmals weltberühmte Springreiter und spätere Trainer und Parcoursbauer Micky Brinckmann hatte immer einen Traum, er wollte ein Turnier veranstalten bei sich in Kolkhagen in der Lüneburger Heide ohne Preisgeld, die Sieger sollten nur einen Lorbeerkranz erhalten, welchen Traum haben Sie, wenn Sie über die Dressur nachdenken?

 

Ch.H.: „Mein Traum ist, dass wir einen Grand Prix bekommen, in dem neben allen Lektionen, Grundgangarten und Tempi - inklusive der Piaffen und Passagen - zusätzlich auf einem Zirkel, zwischen zwei Lektionen, das Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen gefordert wird. Zudem sollte im Starken Trab und Starken Galopp der Reiter überstreichen, um aufzuzeigen, dass er mit seinem Pferd - vor dem Hintergrund der Ausbildung - auf dem richtigen Weg ist. Wird dann noch die Mannschaftsmedaille im Rahmen von Quadrillen entschieden, so kennt mein Glück kaum noch eine Grenze. Ich bin davon überzeugt, dass derartige Wettbewerbe Zuschauermagneten werden.“

 

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Zur Person:

 

Christoph Hess studierte Diplompädagogik, Schwerpunkt Erwachsenenbildung in Hannover, Göttingen und Oldenburg. Seit 1978 arbeitete er bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), beendete am 30. April 2016 offiziell seine Tätigkeit bei der FN. Er ist internationaler Dressur- und Vielseitigkeitsrichter und Berufsreitlehrer (FN). Er machte sich auch einen Namen als Urheber mehrerer Ausbildungsbücher und –filme. Seine Stimme ist nicht nur den Besuchern der Bundeschampionate in Warendorf bekannt, vielmehr kommentierte und moderierte er zahllose Dressurprüfungen, Seminare und Podiumsdiskussionen. Niemand wie er vermag in Kommentaren zu einzelnen Ritten Fehler so fein und positiv in Worte zu kleiden, dass sich auch Verlierer als Gewinner fühlen dürfen.

Seine Eltern stammen aus Berlin, weder sie noch seine zwei Geschwister waren pferdeorientiert. Die Familie seiner Frau Ilse war in Westpreußen zuhause. Sie flüchtete nach dem Zweiten Weltkrieg und erwarb das Gehöft Bettenrode bei Göttingen. Ilse Hess war fast 40 Jahre lang Grundschullehrerin und unterrichtete im Rahmen des Sportförderungsunterichts Kinder im Reiten. Die drei Kinder sind alle dem Pferd verbunden. Philipp leitet den Betrieb Hof Bettenrode - ein Dressurausbildungsstall mit über 100 Pferden. Er bildet bis Grand Prix aus und nimmt an nationalen Turnieren teil. Häufig ist er Testreiter von Hengsten. Christian, vor zwei Jahren deutscher Vizemeister im Springreiten, hat zusammen mit Dirk Schrade den Radesforder Hof in Schleswig-Holstein gepachtet. Und Tochter Friederike ist beim Westfälischen Pferdezuchtverband für die Vermarktung von Pferden mit verantwortlich. Sie bereitet sich z. Z. auf ihre Meisterprüfung im Reiten vor.

 

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