Zum 50. Geburtstag von Isabell Werth Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Samstag, 20. Juli 2019 um 18:54

Aachen. An diesem sonntäglichen 21. Juli 2019 wird Isabell Werth 50 Jahre alt. Ob sie nun während des deutschen CHIO in Aachen gleichzeitig ihren dritten möglichen Erfolg in der Kür mit Bella Rose feiert, ist bei ihren unzähligen Triumphen völlig egal. Sie bleibt auf Jahrzehnte die erfolgreichste Dressurreiterin aller Zeiten.

 

Über Isabell Werth wurde schon ziemlich alles geschrieben, alles  in Gazetten aufbereitet, im Fernsehen oder durch das Internet weitergegeben, ihr sportliches Leben liegt wie auf einem Zeichenbrett ausgebreitet und für jedermann zugänglich parat. Ihre Mutter Brigitte hat auch schon oft erklärt, dass sie damals kurz vor der Entbindung im Kreißsaal lag, als der Amerikaner Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat. Sie hat neben der reiterlichen Karriere das Jurastudium durchgezogen, was beweist, dass Sport und berufliche Ausbildung nicht in Widerspruch stehen. Sie wird als erfolgreichste Dressurreiterin nur schwer zu übertreffen sein, ohne sie wäre diese Disziplin des Reitsports ärmer.

Isabell Werth ist inzwischen nicht nur als Reiterin präsent, auch als Ausbilderin gesucht. Sie hat alles jenes verinnerlicht, was ihr damaliger Entdecker und Förderer Dr. Uwe Schulten-Baumer ihr eintrichterte und mitgab auf dem sportlichen Lebensweg. Ihr Wunsch ist es auch, dass das letzte Interview mit dem „Doktor“, so wurde der am 28. Oktober 2014 gestorbene Reitmeister in der Branche genannt, nochmals veröffentlicht werde. Seine Grundsätze sind auch die ihren.

Das damalige Interview aus dem Jahre 1999: 

Was haben Sie aus den Anfängen als Reiter für später als Trainer gelernt:

„Man darf Pferde nicht überfordern, sonst bleiben sie nicht elastisch. Und ich habe gemerkt, dass man beim Pferdekauf darauf achten muss, dass die Pferde exzellente Grundgang besitzen müssen, also Schritt, Trab und Galopp.“

Beruf, Pferde, Trainer – wie haben Sie das geschafft?

„Es war Stress,  Beruf, Pferde, Training. Manchmal bin ich hin- und hergefahren zwischen Büro und Turnierplätzen. Ohne eigene Begeisterung wäre so etwas nicht möglich gewesen. Deshalb sage ich auch immer: Diesen Sport kann man ohne blinde Begeisterung nicht betreiben - und man muss durchhalten,“

Wie war das bei Nicole Uphoff und ihrem Pferd Rembrandt?

„Zunächst möchte ich vorausschicken, man muss sich auch als Trainer auf das entsprechende Pferd einstellen. Es gibt keine Schablonen. Nicole kam mit einem Pferd, das sprühte, doch die ganze Muskulatur war nicht richtig., das Pferd besaß einen dünnen Hals, dann musste man auf das Temperament des Tieres eingehen. Das Pferd sprang gerne vor irgendetwas weg, darauf wurde es bestraft. Das führte dazu, dass dieses Wegspringen immer schlimmer wurde, denn das Pferd hatte nicht nur Angst vor einem unbekannten Hindernis, sondern auch vor der anschließenden Strafe. Das Pferd war daher turniermäßig nicht mehr zu reiten. Ich habe also Nicole gesagt vor einem Gegenstand, bei dem ein Scheuen zu erwarten war: Klopfe das Pferd erst einmal, gib die Zügel nach vorne, damit das Pferd eine Chance hat, sich ein Hindernis anzusehen. Und das zweite war, und da fängt die leidige Theorie an, nämlich das Pferd in die Tiefe reiten, dass das Pferd so geritten wurde, dass es locker über den Rücken zu schwingen begann. Der Weg dazu: Das Pferd musste erst einmal, auch übertrieben in die Tiefe gestellt werden, dass es über den Rücken zwangsläufig kommen musste. Dadurch bildete sich die Muskulatur sehr schön. Die Stärke von Rembrandt war später, dass der Wallach locker ging und sich so entfalten konnte. Über die Losgelassenheit des Rückens kam auch die Galoppade zum Tragen. Piaffen, Passagen haben wir nicht nach der alt bekanten Methode trainiert, mit Stock, Peitsche und Sporen, sondern alles aus einem gewissen Fluss heraus, der Takt durfte nie verloren gehen. So kamen die später bekannten wunderbaren Übergänge zustande, auch dieses leichte Piaffieren. Die Piaffe war nie optimal, weil das Pferd im Vorderbein begrenzt war, aber die Richter gaben gute Noten, weil das Pferd wunderbar abfußte und mit einer ausgesprochenen Leichtigkeit die Lektionen ging. Das alles musste auch von den Richtern erst erkannt werden, und da war der Schweizer Niggli die entscheidende Person, der mir mal sagte: Wir wollen doch weg von der Gewaltreiterei…“

Wolfgang Niggli, Richterei, das war doch ein gewaltiger Einschnitt in die Dressur?

„Es war sicher das Ende der Hauruck-Reiterei, mit Peitsche und Sporen. Niggli sagte mir mal ebenfalls, wir müssten weg von dieser Welle. Wir wollen doch alle die Pferde locker haben. Das alles bezog sich auch auf andere Lektionen wie Traversalen und Passagen. Zu Rembrandt möchte ich auch noch sagen: Das Besondere an diesem Pferd war die Leichtigkeit in der Bewegung. Ich hätte wahrscheinlich bei einer Anfrage Rembrandt in eine Kauferwägung gezogen, nicht wegen der Ergiebigkeit der Bewegung, sondern wegen der Leichtigkeit.“

Die Welt redet gern von der klassischen Reitmethode, und Sie?

„Ich bin der Meinung: Es gibt keine klassische Methode, denn sie müsste über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte Gültigkeit besitzen. Jede Zeit hatte ihre klassische Methode. Doch alles wandelt sich. Die Erfahrung, die man früher sammelte mit Pferden, ob sie richtig war oder falsch, ob die Wege der Reiterei richtig waren oder falsch, alles bündelt sich in den heutigen Erkenntnissen. Klassische Methode ist etwas wandelbares. Das Reiten nach der klassischen Methode ist nirgendwo nachlesbar. Wir wollen das Pferd haben und sehen, das sich nach seinen körperlichen Fähigkeiten optimal entwickelt, leicht am Zügel steht, rittig ist.“

Ihre Erinnerung an die Anfänge mit Isabell Werth?

„Sie war lernbegierig, hatte Erfahrung mit jungen Pferden – und gab keine Widersprüche, im Gegensatz zu später. Ihre erste schwere Dressur konnte sie mit Madras reiten, der ja schon einiges konnte. Isabell war sehr aufgeregt, wir gaben ihr einen Schluck Whiskey, um die Aufregung zu dämmen, dann rutschten ihr die Zügel aus der Hand… Aber mit Madras gewann sie auch ihren ersten Grand Prix. Isabells Stärke ist ihre Reitqualität. Das kann man nicht erlernen, das hat man. Sie kann in einem Bruchteil von einer Sekunde erkennen, wie das Pferd plötzlich auf irgend etwas reagieren wird – und stellt sich darauf ein. Sie ist einsatzbereit, nervenstark und kämpferisch. Wir mussten nie groß reden, wir kannten uns bestens. Sie wusste schon an meiner Gestik oder Mimik beim Trainieren, was ich wollte oder meinte. Wir waren schon eine große eingeschworene Gemeinschaft.“

Grundsätze vor Turnieren…

„Wichtig ist, dass das Pferd nie Angst vor einer Lektion bekommt. Der große Fehler bei vielen ist zum Beispiel, ein Pferd nach einem Fehler mit einer scharfen Parade zu bestrafen. Dann geht es verspannt in die nächste Lektion. Das Pferd muss verstehen, was der Reiter will. Wichtig ist auch das Loben nach einer gelungen Aufgabe. Beim Arbeiten mit den Pferden ist ebenfalls daran zu denken, dass auch die Seele des Pferdes mitarbeiten muss. Das kommt leider meist zu kurz. Man muss sich hüten, Fehler in den Lektionen beim Pferd zu suchen statt bei sich selbst. Ein Pferd darf weder seelisch noch körperlich überfordert werden.“

Welche Rolle spielen Schmied und Fütterung?

„Der Schmied spielt eine ganz große Rolle. Es ist ähnlich wie beim Menschen. Wem die Schuhe nicht passen, kann nur schwer gehen. Die Fütterung ersetzt manchen Striegel. Pferde sollen topathletisch sein und keine Mangelerscheinungen aufweisen..“

Gigolo gilt als erfolgreichstes Dressurpferd…

„Gigolo war sicherlich nicht das gesuchte Modell für ein Standbild. Aber in dem Moment, wenn sich der Wallach bewegte, strahlte er Kraft, Elastizität und Schwung aus, dazu kam seine Leistungsbereitschaft.“

Was erwarten Sie von einem Richter?

„Ich erwarte von einem Richter, unbeeinflusst von dem, was vorher gesagt wird, unbeeinflusst von dem, was ein Pferd bei anderen Prüfungen gezeigt hat, unbeeinflusst vom Risiko falsch zu liegen, dass er so richtet, wie er es nach seinem besten Wissen und Gewissen vertreten kann. Es ist auch entscheidend, so glaube ich, dass ein Richter im Grunde selbst mitreiten können sollte. Das müsste auf jeden Fall die Notengebung erleichtern.“

Und wie soll sich ein Reiter verhalten?

„Richter sind auch Menschen, vor allem ganz empfindliche. Zunächst muss der Reiter selbstkritisch sein, sollte aber er durchaus und in ganz normalem Ton  sich erkundigen, was gelungen oder weniger gelungen an seiner Vorstellung war, was ein Richter von einem Pferd sehen will und was nicht.“

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Isabell Werth, hier auf Bella Rose, zum 13. mal seit 1992 Gewinnerin des Dressur-Championats des CHIO von Deutschland in Aachen

(Foto: Kalle Frieler)

Das Schlusswort soll Marianne Fankhauser-Gossweiler haben, die früher bei Championaten und Olympischen Spielen sehr erfolgreiche Schweizer Dressurreiterin: „ Das Foto von Isabelle Werth in Aachen zeigt, warum ihr keiner, aber auch gar keiner reiterlich das Wasser reichen kann. Weil sie wirklich reiten und einwirken kann und deshalb ihr Pferd immer vor sich hat.  Sie muss ihre Pferde nicht am und mit dem Zügel durch die Prüfung steuern. Bei ihren Pferden (und das ist das Wichtigste) stimmt der Bewegungsablauf von Vor- und Hinterhand  immer überein. Gerade auf Fotos kann man das sehr deutlich sehen. Besser als auf einem Film. Heute kriegen die Pferde in den Verstärkungen einen kürzeren Hals, ihre aber nicht...Ich könnte hier noch vieles aufzählen, das mir einfach auffällt. Es ist eigentlich egal, wie viele Punkte sie kriegt. Es ist einfach wichtig, dass jemand so reiten kann und so reitet...“

 

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