Der Traum eines jungen Mädchens...(195) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 23. April 2014 um 15:55

 

Post für Polly...

 

Polly, inzwischen kein Kind mehr, 16 Jahre alt, ist immer wieder erstaunt, wie schnell sich die Situationen im sozialen Gefüge einer Reitgemeinschaft verändern können. Vor gar nicht langer Zeit wurde sie von ihren eigenen Reitkollegen gemobbt, heftig, weil sie sich bei der Ausbildung ihres jungen Dressurpferdes helfen ließ. Und dabi war nichts wieter passiert, als dass Reitlehrer Joachim ihr von sich Hilfe anbot, die sie ge5ne annahm. Durch einen geschickten Schachzug setzte sie dem Mobbing ein Ende, sie war erleichtert. Sie ging wieder gerne in den Reitstall, und zudem war der Beritt ihres Florian durch Joachim sehr erfolgreich.

 

Jetzt änderte sich die Situation erneut. Positiv. Jedenfalls für Polly. So sehr sie noch vor vier Wochen gemobbt wurde, so sehr genoss sie nun große Beliebtheit in der Clique ihrer Reitkollegen.

 

Die anderen hatten sehr wohl beobachtet, dass über den wöchentlichen Beritt und Reitunterricht von Joachim, Polly und ihr Florian einen großen Schritt weiterbrachten. Florian rannte nicht mehr ständig davon, sondern ging meistens sogar ziemlich gesittet. Nicht nur das, sondern immer öfter gelang es Polly, ihr Pferd durch die eine oder andere Lektion sogar an den Zügel zu reiten. Ein Erfolg in kleinen Schritten stellte sich ein.  Nicht immer und nicht jeden Tag, aber doch so, dass die anderen es bemerkten.

 

Pollys größte Stallkonkurrentin Brigitta wurde regelmäßig von deren überehrgeizigem Vater nach Düsseldorf zu einem Spezial-Training gefahren. Deshalb musste deren Rapp-Stute Solana jedes Mal auf einen Pferdehänger verladen werden. Natürlich hatte Brigitta insgeheim auch viele Neider, wegen des tollen Dressurunterrichts. Aber da allgemein bekannt war, dass Brigitta eine ängstliche Reiterin war und eigentlich gar nicht unbedingt so viel reiten wollte, beließ man es dabei und mobbte sie nicht. Dann aber fiel Polly aus allen Wolken, als sie ein Gespräch zwischen Herrn Neureich und Reitlehrer Joachim mitbekam, in dem es um Beritt ging. Neugierig stellte sich Polly in die Nähe der beiden. Doch sie wollte nicht als Lauscherin auffallen und ging weiter.

 

Dann hörte sie ein Gespräch mit zwischen Cordulas Mutter und Joachim. Hier vernahm Polly nur Gesprächsfetzen „…jeden Donnerstag…“, aus dem sie schloss, dass nun Cordula auch Unterricht bei Joachim erhalten sollte. Sieh mal an, dachte sie. Zuerst mobben die mich, dann machen sie es mir nach.

 

Jetzt erklärte es sich auch für Polly, dass in letzter Zeit Cordula den Kontakt zu ihr suchte. Das war insofern bemerkenswert, weil Cordula sich ansonsten nicht an den Aktivitäten der Reitstall-Clique beteiligte. Neuerdings benahm sich Brigitta auch anders als sonst. Freundlich begrüßte sie Polly und stimmte immer wieder das Lied des guten Reitunterrichts an. Sie führte sich auf wie eine Agentin in einem Spionage-Thriller. Sie streckte ihren Kopf ganz dicht an Polly heran und flüsterte, als würde sie beide ein Geheimnis verbinden.

 

Tatsächlich hatte Cordula am Montagabend auf dem großen Platz hinter der Reithalle eine Reitstunde bei Joachim erhalten. Zuerst wurde das von niemandem bemerkt. Im Unterbewusstsein hatte Polly mitbekommen, dass Cordula ihre Angelique fertig machte. Dann aber fiel Polly auf, dass Reiterin und Pferd nicht in der Halle auftauchten. Für die überaus ehrgeizige Mutter von Cordula wäre es undenkbar, ihrer Tochter einen Ausritt in den Stadtwald zu erlauben. Also suchte Polly nach ihrer Reitkollegin. Und siehe da, die ritt auf dem schönen großen Dressurplatz. Am Rande standen ihre Mutter und Reitlehrer Joachim. Gerade als Polly um die Ecke kam, hörte sie, wie Joachim sagte, „…mal abwarten... Also Donnerstag.“

 

Polly schloss daraus, dass Cordula nun ebenfalls Einzel-Unterricht erhalten würde. Begeistert war Polly nicht.

 

Gestern erlebte sie ein deja-vu, quasi eine Wiederholung der Situation. Diesmal fand sie Brigitta auf dem großen Reitplatz. Herr Neureich stand neben Joachim am Rande, beide hatten die Köpfe schräg gelegt und beobachteten jeden Schritt von Solana mit Brigitta im Sattel. Polly sah, dass Joachim ein paar Schritte von Herrn Neureich weg ging, um Brigitta Anweisungen zuzurufen. Herr Neureich folgte ihm auf dem Fuße. Wieder trat Joachim etwas zur Seite, dabei schien er sich auf das Geschehen auf dem Reitplatz zu konzentrieren. Aber auch dieses mal lief Herr Neureich hinter ihm her. Dabei blieb sein Blick allerdings ebenfalls fest auf die Tochter gerichtet. Immer wieder rief er ihr etwas zu. Unwillig entfernte Joachim sich wieder etwas von Herrn Neureich, der durch seine Zwischenrufe nervte. Doch wieder folgte Brigittas Vater dem Reitlehrer. Und wieder rief er lauthals über den Reitplatz. Deutlich verärgert wich Joachim erneut zur Seite. Völlig genervt stand Joachim nicht mehr in der Mitte der langen Seite der Reitbahn, sondern mittlerweile schon am unteren Zirkelpunkt. Herr Neureich war ihm bis dahin gefolgt. Polly beobachtete das Spiel. Es war zu schön. Sie lachte vor sich hin. … wie Herr Neureich dem Reitlehrer immer hinterher stiefelte und ihm voll auf die Nerven ging mit seinem Dazwischenbellen…

 

Plötzlich explodierte Joachim: „Entweder ich gebe die Stunde - oder Sie. Aber wir beide, das geht auf keinen Fall.“ Wütend drehte er sich um und stapfte weg. Herr Neureich stand verdattert da. Brigitta hielt neben ihrem Vater an und meinte nur: „Er hat ja Recht. Ich weiß ja gar nicht mehr, auf wen ich hören soll“.

 

 

Polly schlich unbemerkt hinter dem Vater ihrer Reitkollegin her, als der sich ebenfalls in den Stall begab. Sie folgte ihm bis zur Sattelkammer. Aber sie trat nicht ein, sondern blieb unauffällig hinter der offenen Tür stehen. Dort wurde sie Zeuge, dass sich Herr Neureich tatsächlich in unvorstellbarer Weise bei dem Reitlehrer entschuldigte. Die beiden vereinbarten, dass Brigitta nun ebenfalls wöchentlich eine Einzelstunde erhalten sollte. Polly konnte den Preis nicht verstehen. Aber sie meinte, die Worte „Fünfzig Euro“ vernommen zu haben. Fünfzig Euro für einen Monat, wären 50 Euro für vier Reitstunden. Das erschien Polly viel zu wenig. Jeder wusste doch, dass die Neureichs über sehr viel Geld verfügten. Also musste wohl eine Reitstunde bei Joachim 50 Euro kosten.

 

Polly wusste, dass ihre Eltern nicht so viel bezahlen würden. Sie ging davon aus, dass der Unterricht und Beritt für sie weitaus weniger kostete.

 

Jetzt wurde es auch Polly ganz klar, warum ihr Beliebtheitsgrad plötzlich in die Höhe geschossen war. Cordula weniger, aber Brigitta umso mehr, fühlten sich als Elite unter den Reiterkammeraden, nur weil jeder von ihnen bei einem Trainer wöchentlich eine Einzel-Reitstunde bekam. So ein Blödsinn, fand Polly. Aber sie musste sich doch eingestehen, dass es ihr gefiel, wie sehr sich Joachim um sie und ihren Florian kümmerte. Auch über die eine wöchentliche Reitstunde hinaus.

 

Auf einmal kam Aggi angelaufen. „Polly, da hängt ein Brief, nur für Dich am schwarzen Brett“, sagte sie ganz aufgeregt und zog Polly am Arm hinter sich her. Tatsächlich, da hing ein Ausdruck. Polly las:

 

Liebe Polly,

Heute wollen wir Dir von unseren Fohlen berichten. Sieh Dir die Bilder an. Sind sie nicht Pracht Fohlen?


Da sind : Samy, 12 Jahre alt, aus Oberwildflecken in der Rhön

und Paulina 12 Jahre alt, meine Freundin aus Oberwildflecken.



Stell Dir bloß vor: Die Ponys sind derzeit in einem früheren Wohnhaus untergebracht. Mama hat für die Pferde  alles umgebaut. Drumherum ist ein großer Garten.

Aber das soll  nicht alles so bleiben. Denn wir werden die

Pferde in der Nähe unterbringen und Stallungen bauen. Erst einmal haben wir die Pferde aus der Not gerettet. Das war ein Drama, davon erzähle ich Dir nicht, lieber darüber, dass wir nur nach vorn sehen möchten, die Pferde pflegen, bis sie ganz gesund sind und ihnen ein kleines Paradies bereiten wollen.

Aber das Tollste ist: am 12.03.14 hat Paulina  ein Fohlen geboren. Es kam in der Nacht, Wir waren leider nicht dabei.  Es ist am 12.04.14 ein Fohlen geboren.


Eines haben wir Prince genannt, weil es so groß war wie mein kleiner West Mojo, meine Mama konnte ihn hochheben und tragen....  Ihm geht es ganz gut, und er ist schon ganz schwer, nun kann man ihn nicht mehr hochheben. Aber meine Mama hat ihm schon viele Tricks gelehrt. Er legt sich auf Kommando hin und liebt es, wenn man seinen Bauch streichelt. Aber davon kann ich das nächste mal mehr erzählen.

Jetzt noch was zu dem anderen Fohlen. Es heißt Lucky, weil es viel Glück hatte, dass es lebt. Zuerst war seine Mama fast tot, als sie in die Klinik kam. Bei uns haben wir sie dann  erstmal aufgepäppelt. Das Fohlen ist riesig, weil der Vater ein Vollbluthengst ist. Zuerst war der Herzschlag kaum zu hören, und auch die Atmung war schlecht. Meine Mama hat sich die ganze Nacht um das Fohlen gekümmert und dann auch ihre Freundin Heike angerufen, die ist Tierärztin. Die hat Medizin mitgebracht. Und weil das Fohlen nicht richtig trinken wollte, hat meine Mama die Pferdemama gemolken und Lucky gefüttert und auch bei der Mutter trinken lassen. Inzwischen geht es ihm gut. Wir haben jetzt eine große Wiese bekommen, da müsen aber noch ein Stall und eine Scheune drauf und ein Zaun.

Morgens schauen uns die Ponys stolz und glücklich an,

bis zum nächsten Mal, liebe Polly.



Polly war ganz erstaunt. Sie hatte Post in den Reitstall erhalten von Mädchen, die, wie sie, Pferde liebten. Das war schon etwas ganz besonderes. Der blöde Anton aus ihrer Clique machte sich zwar lustig darüber. Das war Polly in dem Moment aber egal. Sie freute sich riesig über diese Post.

 

So schnell kann sich alles ändern: erst wird sie wochenlang gemobbt, dann ist wird sie von fremden Kindern gar geliebt und bekommt dann auch noch Fan-Post von jungen Verehrerinnen. So könnte das Leben weitergehen, dachte sie. Sie hatte eine tolle Woche hinter sich.

 

(Fortsetzung folgt…)

 

PS: Die Geschichte um Polly beruht zum großen Tiel auf eigenen Erlebnissen als Kind und Jugendliche in einem Krefelder Reitstall.

 

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