Der Traum eines kleinen Mädchens (59) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 08. Dezember 2010 um 14:50

 

Kälte und die Folgen für den Reitstall...

 

Der Begriff Physik war Polly fremd. Physik stand für die höheren Klassen auf dem Lehrplan, das wusste sie. Sie selbst hatte gar keine Vorstellung davon, um was es ging. Aber  seit dem Vorfall letzter Woche Donnerstag wusste sie ein wenig mehr darüber, durch Papa. Der nämlich hatte  erklärt, Physik wäre eine Naturwissenschaft, es handele sich dabei um Zahlen und Berechnungen. Polly fühlte sofort, Physik würde nie ihr Lieblins-Fach werden. Dass es aber auch etwas mit den Elementen, Feuer, Wasser, Luft und Erde zu tun hatte, interessierte sie schon etwas mehr. Es ging auch um Materie, also um  Materialien und unter welchen Bedingungen die sich veränderten. Zum Beispiel bei Temperaturunterschieden. Aber Polly und die anderen Kinder des Reitstalles hatten ja bis zum Freitag keine Ahnung davon. Sie hatten noch nie etwas davon gehört.

 

Am Donnerstag traf Polly ihre Freunde im Reitstall. Sie konnte eine Reitstunde nehmen, denn zuletzt war sie immer brav gewesen. Also brav, was die Eltern darunter verstanden. Das hieß, sie hatte selbständig ihre Hausaufgaben erledigt. Die allerdings, so schnell wie möglich. Zusätzlich brachte sie sogar  ein wenig Ordnung in ihr Zimmer. Obwohl sie eigentlich nicht einsah, warum sie die Jeans, die sie sowieso morgen wieder anziehen würde, am Vorabend ordentlich in den Schrank legen sollte. So ein Quatsch! Aber Mama wollte es so. Und für Polly ging es ja um die Reitstunden. War sie nicht „brav“, durfte sie nicht in den Stall. Das allerdings war jeweils das Allerschlimmste für sie.

Sie durfte also in den Stall. Freitag wohl auch. Und alle nächsten Tage ebenfalls. Das schreckliche Brav-Sein war doch zu etwas nutze.

 

Seitdem sie vor mehr als einem Jahr angefangen hatte zu reiten, war es ihr zur Gewohnheit geworden, zu allererst zu Lisa zu gehen. Dabei reichte sie dem gescheckten Pony ein Zückerchen auf dem flachen Hand hin, welches das Tier mit seinen samtweichen Lippen vorsichtig entgegen nahm.

 

An diesem Donnerstag hatte Lisa anscheinend Polly an ihren Schritten bereits beim Kommen gehört. Als das Mädchen an ihre Box herantrat, schnaubte das Stütchen ganz sachte und drehte ihm den Kopf entgegen. Polly war sich ganz sicher, dass Lisa ihr „Hallo“ sagte. Auf ihre Art natürlich. Aber Polly verstand das Pony auch so. Lisa freute sich über das Zückerchen von Polly.

 

Während diesen schönen Momentes hörte Polly andere Kinder in den Ponystall kommen. Der kleine Klaus war dabei. Er ging auf Mäxchens Box zu. Klaus teilte sich den Max oft mit Harald. Polly beobachtete, wie Klaus hinter das Schimmelchen trat und ihm kräftig mit der Hand auf den Batzen schlug, damit es gleich zur Seite trat, um dem Jungen Platz zu machen. Unwillig legte Max die Ohren zurück. Er schien unwirsch, ob der groben Behandlung. Kein Schnauben, wie bei Lisa! Der Klaus ist es aber auch selber schuld, dachte Polly bei sich. Warum ging der nicht liebevoller mit dem Pferdchen um? Polly hatte kein Verständnis für das raue Verhalten des Jungen. Der konnte noch von Glück sagen, dass Max nicht ausschlug. Dabei fiel Polly wieder ein, dass der kleine Klaus ja im Kindergarten mal ihre Banane mit der Hand zermatscht hatte. Der kleine Klaus war extrem wild. Das wusste jeder im Stall.

 

Der zauberhafte Augenblick zwischen Polly und Lisa war vorbei. Sowieso sollte sie ein ganz anderes Pony reiten. Es gab ein neues Pony im Reitstall Hubertus: ein großes Doppelpony. Es war größer als alle anderen Ponys, die bisher im Reitstall gewesen waren. Pechschwarz, also ein Rappe! Polly liebte schwarze Pferde. Heute dufte sie also einen Rappen reiten.

 

Er hieß Michi und war eine Stute. Dabei handelte es sich um ein sogenanntes Endmaß-Pony. Das hieß, es war zwischen 147 und 148 cm hoch, gemessen nicht vom Boden bis zu den Ohren, sondern am Widerrist. Das erklärte Herr van Hopps gerade den Kindern, als er ihnen die neue Michi zeigte und Polly anwies, sie solle sich das neue Pony fertig zu machen. Irgendwie fühlte Polly sich überaus geehrt. Sie war die Erste hier im Stall, die dieses große Pony in der Stunde reiten durfte. Außerdem wurde Michi ein richtiger Großpferde-Sattel aufgelegt. Das war schon was ganz Besonderes.

 

Nur die Reitstunde als solche war durchaus nichts Besonderes. Langweilig wie immer bei Herrn van Hopps. Wäre doch nur der Joachim da!

 

Auf der anderen Seite hatte Polly, die mit dem großen Pony an der Tete reiten sollte, genügend Zeit, sich in Ruhe auf das ungewohnte Pferd einzustellen. Es gefiel Polly, auf die "niedrigeren" Freunde mit den kleineren Ponys herabzuschauen. Sie fühlte sich tatsächlich groß. Aber immer wieder ermahnte sie der Reitlehrer, langsamer zu reiten. Im Trab kamen die anderen nicht mit. Besonders Marion auf Fips hatte Probleme, an der Abteilung dran zu bleiben.  Anne auf Heidi, die genau vor Fips trabte, kürzte auch immer die Ecken ab, weil Heidi mit ihren kurzen Beinchen nur ganz kleine Schritte machen konnte.

 

In letzter Zeit hatte Polly ganz oft auf Naomi, der Schwester von Heidi, geritten. Vom Gefühl her der genaue Gegensatz zu Michi. Die viel größeren Schritte und raumgreifenderen Bewegungen ließen den Reiter ganz anders mitschwingen. Polly stellte fest, dass es sich auf einem großen Pferd viel besser sitzen ließ. Hoffentlich würde sie Michi in Zukunft häufiger reiten dürfen. Ihre Lisa war sowieso meistens den Anfängern vorbehalten, und zu denen zählte Polly nun wirklich nicht mehr.

 

Die Kinder waren noch beim Absatteln, als der Pitter heran kam. „Harald, ihr müsst nachher das Wasser wieder abdrehen. Es friert heute Nacht wieder“, sagte er. „Klar, machen wir“, gab der wie beiläufig zur Antwort. „Heißer  Kakao für alle! In der Tränke!“, rufend kam Olaf in den Ponystall gelaufen. Das war eine Spitzen- Nachricht. Die Kinder beeilten sich mit Aufräumen. Dann machten sie sich alle, Reiter oder Nichtreiter, über das köstliche Getränk her. Es war ein toller Tag für Polly im Reitstall.

 

Voller Vorfreude erschien Polly auch am Freitagnachmittag im Stall. Zuerst zu Lisa, dann zu Michi! Soweit war Pollys Plan. Sie hatte zwei Anorak-Taschen voller Zückerchen mitgebracht. Umso erstaunter war sie, als sie den gesamten Ponystall leer vorfand. Kein einziges Pony weit und breit.

 

Alle Pferdchen befanden sich in der Reithalle. Sie liefen dort frei herum. Ohne Sattel, ohne Trense, niemand, der sie beaufsichtigte. Das ging so aber nicht, dachte Polly. Bis die jetzt alle erst eingefangen sind, in den Stall gebracht und dann zum Reiten fertiggemacht, das dauerte doch viel zu lange. Die Reitstunde wäre längst vorbei, ehe sie angefangen hätte. Aufgebracht lief Polly ins Büro zu Frau Esser und dem Reitlehrer.

 

Einige Kinder befanden sich ebenfalls bereits dort. Unter Ihnen stand  auch Harald, der neunjährige Sohn des Reitstall-Eigentümers.  Herr van Hopps war außer sich vor Ärger. „Der Pitter hat mir versichert, dass er Euch extra Bescheid gesagt hat. Stimmt`s? Oder wollt ihr etwa sagen, dass der Mann gelogen hat?“ sagte Herr van Hopps aufgebracht. Alle schüttelten beschämt den Kopf. Polly sah, dass Harald mit tief gesengtem Kopf vor dem Reitlehrer stand. Schuldbewusst schaute er auf den Büroboden. Dabei gab es dort nichts zu sehen, überzeugte sich Polly. Erst nach und nach bekam sie heraus, was geschehen war: Vor lauter heißem Kakao hatten Harald und alle anderen vergessen, das Wasser der Pony-Tränken abzustellen. In der Nacht waren dann die Leitungen gefroren und durch das sich ausdehnende Eis geplatzt. Wasser, das gefriert, dehnt sich aus. Das war Physik. Jetzt war Polly klar, was auch Physik mit dem Stall zu tun hatte.

 

Leitungen geplatzt, das hieß, die Pferdchen bekamen kein Wasser mehr und hatten Durst. Heute ganz früh schon hatten sie vor sich hingeschnaubt und gewiehert vor Durst. Geplatzte Leitungen  hieß auch,  dass auf  Handwerker gewartet werden musste, die alle Leitungen und jede einzelne Wassertränke zu kontrollieren und eventuell zu reparieren hatten. „ Die Kosten! Die Kosten! Wer soll das nur alles bezahlen? Hunderte von Euro für die Reparatur der Leitungen!“, jammerte Frau Esser. “Der Reitstall geht pleite! Vielleicht müssen wir schließen!“, heulte sie die ganze Zeit. Den Kinder fuhr ein Schreck in die Glieder.

 

Die Pferdchen mussten aus den Boxen geholt werden, damit die Handwerker dort arbeiten konnten. Deswegen befanden sich alle Ponys  in der Reithalle, als Polly am Freitag in den Stall kam. Die Reitstunde konnte wegen einer solchen, eigentlich kleinen Nachlässigkeit mit großen Folgen nicht stattfinden. Schade! Polly musste jedoch zugeben, die Kinder waren es selber schuld.

 

(Fortsetzung folgt....)

 

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