Der Traum eines kleinen Mädchens (88) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 06. Juli 2011 um 11:10

 

"Tote Pferde werden zu Seife verarbeitet..."


Der Tod eines Pferdes erschreckt immer. Vor allem, weil es alle gekannt hatten. Ganz besonders die Kinder des Reitstalls Hubertus. Polly war sehr betroffen, als sie hörte, dass Burgos eingeschläfert werden musste. Sie fühlte so großes Mitleid mit Gudrun, die ihr heißgeliebtes Turnierpferd nun durch einen Unfall verloren hatte.

 

Der Unfall und das Ende eines so großen schönen Pferdes beschäftigten die Kinder noch viele Tage. Dann war es wieder Joachim, der den Kindern erklärte, was mit einem toten Tier geschieht. Zwar hatten die Kinder schon mal im Fernsehen gesehen, dass es Tierfriedhöfe gibt, aber die waren für kleine Haustiere gedacht. Pferd wurden nicht dort begraben.

 

Ein Pferd werde zu einem „Abdecker“ gebracht, erklärte Joachim den Kindern. Dabei hatte er sich sogar an ihren Tisch in der „Tränke“ des Reitstalles gesetzt. Frau Dimmer, die Mama von Petra, hörte im Vorbeigehen, worum es ging. Es war auffallend ruhig am Jugendtisch, weil die Kinder genau zuhörten. Alle interessierte es, was mit dem toten Burgos geschah, nachdem ein Tierarzt im Stadtwald seine traurige Pflicht erfüllt hatte. Wie das tote Pferd da mitten auf dem Reitweg lag, stellten sie sich alle vor. Dass Gudrun fürchterlich weinend daneben stand, war allen klar. Aggi konnte sie nicht einmal tröstend in den Arm nehmen, weil sie ja ihren Marco festhalten musste. Dem war Gott sei Dank nichts passiert. Alles traurig, traurig!

 

Frau Dimmer ließ den Kindern Cola und einen Schokoriegel bringen. Von ihrer Petra wusste sie, wie bedrückt die Kinder waren. Dabei wollte sie ihnen einfach etwas Gutes tun.

 

Joachim fuhr fort zu erläutern: „Tierkörperbeseitigungs-Anstalt heißt das richtig. Das tote Tier, jedes tote Tier, sollte dahin gebracht werden.“

 

„Kommt es nicht zum Metzger und wird zu Wurst verarbeitet?“, fragte Anton. Natürlich wieder Anton, der so klugscheißerisch dazwischen quatschte! Polly hatte geahnt, dass solche Fragen ausgesprochen werden würden. Aber sie musste sich eingestehen, dass sie es schon auch genau wissen wollte.

 

„Nein, nicht unbedingt. Bei unseren Reit- und Sportpferden ist das so, dass sie ja geimpft und mit Medikamenten behandelt werden, wenn sie krank sind. Deswegen dürfen sie, wenn sie gestorben sind, nicht in den für Menschen gedachten Lebensmittelhandel eingebracht werden. In ihrem Leben werden unsere Pferde regelmäßig zum Beispiel mit Antibiotika behandelt. Die würden die Menschen dann beim Verzehr in den Körper aufnehmen. Wenn sie dann selber einmal krank sind und Antibiotika benötigen, hat das Medikament unter Umständen keine Wirkung mehr, weil der Körper durch den Verzehr von diesem Fleisch vorher schon ein Stückweit immun geworden sein kann“ erläuterte Joachim weiter.

 

„Aber es gibt doch einen Pferdemetzger und Pferdefleisch. Der heißt Vinkelmann und liegt auf der Colognestraße“, beharrte Anton und machte wieder auf schlau. Joachim stimmte ihm zu. Unter Reitern war das sowieso allgemein bekannt. „Das Pferdefleisch, das dort verkauft wird, stammt aber woanders her“, entgegnete der Hilfsreitlehrer. „Ich weiß“, sagte Harald. „Ich habe in Holland eine große Ponyherde gesehen, von der mein Vater gesagt hatte, dass die nicht zum Reiten gehalten werden.“ Polly war entsetzt. Was redete der Harald denn da für einen Blödsinn: Ponys extra für den Metzger gezüchtet? Das kann doch nicht sein! Polly schossen Gedanken wie Blitze durch den Kopf. Aber Joachim dementierte nicht.

 

„Was wird denn mit toten Pferden gemacht?“, fragte Marion ganz zaghaft, ängstlich. „Seife!“, rief Anton fröhlich. „Seife wird daraus gemacht!“.

 

„Nun lasse aber mal gut sein“, herrschte Joachim den wilden Jungen an. Mit seinem Zwischengequake ging er ihm ziemlich auf den Wecker.

 

Der junge Reitlehrer nahm sich dann die Zeit, den Kindern zu erklären, wie ein Tierkörper verwertet wurde, dass etliches daraus hergestellt werden kann. Nicht nur Seife. Das Gespräch verlief dann schnell in die Richtung, was auch aus anderen verstorbenen Tieren gemacht würde. Für die Kinder war es ein schaurig-interessantes Thema.

 

Nicht nur bei Polly kam aber der Gedanke auf, dass der „Geist“ des Tieres auch in den Himmel kommen würde. Die Jungs gaben nicht zu, dass ihnen dieser Gedanke in den Sinn kam. Es war einfach zu schwierig, sich vorzustellen, dass gar nichts übrig bleiben sollte. Polly war sich ganz sicher, dass es bei Tieren und Menschen keinen Unterschied gab, was nach dem Tod geschehen würde. Einzelheiten konnte sie sich aber nicht vorstellen. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Gudrun zurück. Die musste doch unendlich traurig sein, ihren „Freund“ verloren zu haben. Wenn Gudrun nun genau die gleichen Gedanken zum Tod ihres Pferdes durch den Kopf gingen? Entsetzlich! Das musste sie ja noch trauriger machen in der Vorstellung, Burgos wäre zu Seife verarbeitet worden... .

 

Polly konnte sich nur mit diesem einen Gedanken zufrieden geben: Burgos war im Himmel.

 

Die Jungen hielten sich mit „technischen Fragen“ auf. Das lenkte sie von den eigentlichen, den schwierigen Themen ab. Polly wusste von ihren Brüdern, dass die immer Ablenkungsmanöver einleiteten, wenn Polly sich mit Gefühlen oder sogar mit der „Seele“ auseinandersetzte. Jungs konnten überhaupt nicht damit umgehen. Sie behaupteten sogar, Tiere hätten keine Seele. Deswegen könnten sie überhaupt nicht in den Himmel kommen. Außerdem: Gibt es einen Himmel überhaut? Was ist der Himmel, was ist die Hölle?

 

„Man kann ein verstorbenes Pferd selber in die Tierkörperbeseitigungs-Anstalt bringen. Das Problem liegt nur darin, dass man einen Hänger oder Transporter haben muss und, vor allem, dass man die ungefähr 450 Kilo des Pferdegewichtes überhaupt verladen bekommt. Mit anderen Worten: Wie kommt ein totes Pferd auf den Hänger?“ stellte Joachim die entscheidende Frage. „Man kann es aber auch abholen lassen von Profis. Die haben auf ihren Transportern meist elektrische Seilwinden, mit denen sie den toten Tierkörper auf die Ladefläche ziehen. Das geht dann ganz schnell“, erklärte er weiter. Damit habe man das Problem am einfachsten gelöst, „aber es kostet dafür auch eine Menge Geld.“

 

Polly war froh, dass endlich einmal jemand von den Erwachsenen ihre Fragen beantworte hatte, mit denen sie sich die letzten Tage ziemlich herumquälte. Jetzt wusste sie alles, und das Thema „Tod eines Reitpferdes“ war für sie durch. Gedanklich widmete sie sich wieder dem eigenen Reiten und den Ponys. Es machte Spaß. Wenn sie ihren geliebten Ponys über den Hals strich, war sie glücklich. Das Fell fühlte sich so schön warm und weich an. Die Mähne ließ sich so herrlich kämmen, so dass sie hinterher wie Seide glänzte. Die Ponys dankten es ihr mit einem zufriedenen Schnaufen. Polly hatte es bisher noch nie vergessen, ihren Lieblingen  Zuckerstückchen mitzubringen. Sie genoss es, den Pferdchen diese auf der ausgestreckten Hand zu reichen. Sie liebte das Gefühl, wenn die weichen Pferdelippen sie auf der Handfläche kitzelten. Heute lief sie von Pony zu Pony und reichte jedem ein Zückerchen.

 

Völlig in Gedanken versunken, vernahm sie plötzlich ein Poltern draußen vor dem Stall. Stimmen waren zu hören. Es wurde gerufen. Schnell lief Polly auf den Hof. Dort stand ein großer Pferdetransporter, aus dem Getrampel zu vernehmen war. Gudrun drängte sich durch die neugierigen Leute zum Auto hin. Ein neues Pferd wurde angeliefert, Gudrun erhielt ein neues Pferd.

 

Gudruns neues Turnierpferd war auch ein kräftiger Fuchs. Es gefiel Polly keineswegs, aber es hieß ebenfalls Burgos. Burgos II. Das hätte Poly auf keinen Fall so gemacht. Aber Gudrun wollte es.  Es war ihr neues Pferd. Vielleicht war der Unfall noch nicht lange genug her? Aber Gudrun lächelte, als sie ihr neues Pferd in Burgos` alte Box führte.

 

(Fortsetzung folgt.....)

 

 

 

 

 

Um die Nutzbarkeit unserer Seiten zu verbessern, verwenden wir Cookies. Falls Sie mit der Speicherung von Cookies nicht einverstanden sind, finden Sie hier weitere Informationen. Weitere Informationen >>> Cookie-Hinweis.

Hinweis >>>