Der Traum eines kleinen Mädchens...(95) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Freitag, 02. September 2011 um 13:40

Pferd und Reiterin voll in den Spiegel…

 

Ausgerechnet am gestrigen Tag kam Polly erst nachmittags in den Reitstall. Sie hatte mit Mama und ihren beiden Brüdern mit in die Stadt gemusst, um etliche Dinge für das neue Schuljahr einzukaufen. Neue Hefte, Füllerpatronen und bunte Stifte interessierten sie so wenig wie elektrische Oberleitungen über Land: nämlich gar nicht. Bisher hatte sie jeden Ferientag im Stall bei den geliebten Ponys verbracht. Schönere Ferien konnte sie sich gar nicht vorstellen. Nächste Woche würde damit Schluss sein. Die Schule begann wieder.

 

Schon als sie das Reitgelände betrat, fiel ihr auf, dass so wenige Fahrräder ihrer Freunde vor dem Stall standen. Sonst hatten sie sich alle immer schon vormittags dort getroffen und ihre Räder abgestellt. Meistens saßen diejenigen, die als erste ankamen, auf dem antiken Beschlag-Gestell und warteten bis alle da waren. Aber jetzt standen dort nur drei Jugend-Fahrräder. Zu wenig!

 

Für die letzte Ferienwoche hatte Opa Polly noch einmal etwas Feriengeld zugesteckt. Sofort hatte sie davon für die Ponys ein Päckchen Zucker gekauft. Im Stall lief sie von Pony zu Pony und reichte jedem Pferdchen mit der flachen Hand ein Zückerchen durch die Stäbe. Zum ersten Mal vernahm sie das Schnauben von Little Lord, dem neuen Rapp-Pony, das so ein fieses Ekzem unter der Mähne gehabt hatte. Das war schon viel besser geworden. Polly freute sich sehr darüber, dass auch dieses neue Pony ihr entgegen schnaubte. Es bekam zwei Zückerchen als Belohnung. Polly öffnete sogar dessen Boxentür und knuddelte das Doppel-Pony besonders. Dann schob sie leise die Türe wieder zu und vergewisserte sich, dass die Verriegelung richtig einrastete. Letzte Woche nämlich fand man Little Lord frei bei den Heuballen stehen, wo er genüsslich die Halme vor sich hin mümmelte. Für Marion war die Boxen-Türe wohl zu schwer  gewesen, dass sie sie nicht in die Verriegelung geschoben bekam. Little Lord hatte sich befreit und seine Box verlassen, um sich den Bauch mit Heu vollzuschlagen. Das sollte Polly auf keinem Fall passieren.

 

Dann erst bemerkte sie, dass sie ungewohnte Geräusche aus Richtung Reithalle vernahm. Irgendwelche Maschinen wurden dort benutzt. Sie lief gleich hin, ohne den großen Pferden etwas zu geben. Die Tür zur Reitbahn stand offen. Kein Pferd war zu sehen. Aber an der kurzen Seite stand eine Leiter am Spiegel gelehnt, darauf ein junger Mann, der dort mit einer Maschine hantierte. Dabei handelte es sich um einen Akkuschrauber. Aber das wusste Polly natürlich nicht. Neben der Leiter befand sich ein dicker Mann, auch mit einem Blaumann bekleidet, der die Leiter festhielt und dem jungen Mann jeweils die Werkzeuge anreichte.

 

„Warum braucht der Spiegel Fensterläden?“, fragte sich Polly. „Sieht ja ganz nett aus. Aber wozu ist das denn notwendig?“, dachte sie und ging langsam über den Hallenboden auf die Handwerker zu. Sie sah keinen ihrer Freunde und sie war neugierig. Vor den fremden Männern hatte sie keine Angst. „Mal fragen, warum die Fensterläden vor den Spiegel anbringen“, dachte sie beim Gehen. Sie beobachtete den Jungen Mann, der freihändig auf der Leiter stand und dabei mit der Maschine immer wieder Schrauben festzog. Er hatte, nicht allzu kurze, blonde Haare. Jung war er, fand Polly. Aber älter als fünfzehn, dachte sie bei sich. „Der sieht nett aus!“, fand sie, als sie näher kam. Er unterbrach seine Arbeit und wollte gerade mit dem Älteren Werkzeug tauschen, als sein Blick Polly traf. „Der hat ja blaue Augen. So schön!“, dachte das Mädchen. Cool sah der Junge aus, so hoch auf der Leiter stehend, als wäre das gar nichts, die Maschine in der Hand, dazu der Blick aus den strahlend Blauen Augen………

 

Polly blieb bei den Männern stehen und sagte kurz: „Hallo“. Lächelnd nahm der junge Mann seine Arbeit wieder auf. Die Fensterläden vor dem Spiegel waren geschlossen. Er stieg drei Sprossen herab und begann unten rechts mehrere Schrauben in das Holz zu drehen. Da bemerkte Polly mehrere braune Flecken und einen hässlichen braunen Streifen an der weiß gekalkten Hallenwand neben dem Spiegel. Es fielen ihr dann auch braune Flecken auf der Holzbande auf. Die hatte sie bis dahin beim Vorbeireiten in der Ponystunde nie

bemerkt. „Sind die vorher nicht dagewesen?“, fragte sie sich und trat ganz nah an die Bande. Vorsichtig und neugierig, wie sie war, berührte sie einen etwas dickeren braunen Fleck mit der Spitze ihres Zeigefingers. Der Fleck verschmierte und wurde rot. „Das ist ja Blut!“, schoss es ihr durch den Kopf. Sie erschrak. Sie untersuchte noch ein paar Flecken. Alle verschmierten und wurden rot. Es war tatsächlich Blut, und es war ganz frisch. Der braune Streifen an der weißen Wand war nicht wirklich braun. Beim genauen Hinsehen erkannte man, dass es sich um angetrocknetes Blut handelte. Polly wagte nicht, die Handwerker zu fragen.

 

Sie lief in den Stall zurück, um ihre Freunde zu suchen. In dem schmalen Durchgang kam ihr Aggi entgegen. Polly wollte „Hallo“ sagen und die junge Reitkollegin fragen. Sonst war Aggi die Freundlichkeit in Person. Aber sie starrte geradeaus und ging ohne Gruß an Polly vorbei. „Ich hab der doch gar nichts getan!“, dachte sie. „Wieso grüßt die nicht? Die kann mich mal.“, beschloss Polly noch und wunderte sich aber darüber. Bisher war Aggi ihr großes Vorbild gewesen, Nicht nur weil sie eine exzellente Dressurreiterin war, sondern weil sie sich immer fröhlich, immer besonders freundlich und ganz besonders nett zu den Kindern verhielt. Sie trug immer die coolsten Klamotten. Sogar die Erwachsenen fanden Aggi gut. Aber das gerade fand Polly voll daneben.

 

Sie musste jemanden finden, der das mit den Flecken an der Wand und den Fensterläden vor dem Spiegel erklären konnte. Harald kam auf sie zu. „Der weiß immer alles, was im Stall passierte. Als Sohn des Eigentümers….“, dachte Polly und fragte gleich.

 

„Es gab einen Unfall heute morgen“, erzählte er. Jetzt kamen auch die anderen Ponykinder um die Ecke. Bis auf die kleine Maria redeten alle auf Polly ein über das, was sie heute morgen verpasst hatte. Die Kochlöffelabteilung sei heute ausgefallen und es hätte eine Freistunde für die Erwachsenen gegeben, erfuhr Polly. Frau Hermanns und noch jemand seien am Reiten gewesen. Frau Hermanns wäre in übermütiger Stimmung gewesen. Ihr Pferd Alphorn  ließ sie Runde um Runde galoppieren. Dabei hob sie ihren Po, und in leichtem Sitz galoppierte sie immer schneller. Das Pferd buckelte. Aber das machte der Reiterin nur noch mehr Spaß. Sie habe laut gelacht und ihren Sohn in die Reitbahn gerufen – er sollte das oberste Cavaletti hinstellen. Bei Cavalettis handelt sich um niedere Hindernisse, eine rund drei Meter lange Stange liegt auf zwei Ständerkreuzen, nicht mehr als 30 bis 40 cm über dem Boden.

 

Drei Cavalettis standen bereits übereinander in der Mitte der Bahn, parallel zu den Kurzen Seiten. Frau Hermanns wollte springen. Zuerst über nur zwei Cavaletti, dann über drei. Deswegen musste ihr Sohn zuerst das oberste runter setzen, dann wieder hinauf. Mehrmals sprang Frau Hermann darüber. Sie jauchzte vor Vergnügen. „Alpi“ schien auch Spaß zu haben. Jedes Mal nach dem Sprung buckelte er vor Lebensfreude. Die andere Reiterin in der Bahn blieb stehen, um zuzusehen. Leute stellten sich an die Bande. Auch sie wollten sich das Schauspiel angucken.

 

Der Junge holte eine Stange von der Wand und legte sie einen Meter vor die drei gestapelten  Cavaletti. Der Wallach würde einen sehr weiten Sprung darüber machen müssen. Es war sehr mutig von Frau Hermanns. Aber sie war eine sehr kernige Reiter, die so schnell keine Angst hatte. An dem Tag schon gar nicht. Sie war eins mit ihrem Pferd. Herr van Hopps kam hinzu und rief „Elfi, willst du`s nicht gut sein lassen?“, aber er lachte dabei. Auch er mochte Frau Hermanns gerne.

 

Die bog bei „A“ auf die Mittellinie ab und galoppierte schnurgerade auf das breite Hindernis zu. Ihr Pferd machte einen riesen Satz und übersprang das Hindernis, ohne zu reißen. Es hatte soviel Fahrt, das es nicht mehr bremsen konnte und gegen die Bande bei „C“ sprang. Es hatte die Kurve nicht mehr bekommen  und war mit dem Kopf voll in den Spiegel gekracht. Durch den Ruck fiel die Reiterin nach vorne und flog ebenfalls in den Spiegel. Tausend Scherben barsten auseinander. Blut überall!!!!!

 

Sowohl das Tier wie auch die Reiterin trugen Schnittwunden davon, das Pferd am Kopf, die Reiterin im Gesicht. Beide bluteten heftig, Blut spritzte gar gegen die Wand. Frau Hermanns musste im Krankenhaus genäht werden, brauchte aber nur einen Tag dort zu  bleiben. Sie hatte sehr viel Glück gehabt. Ihr Pferd genauso. Der Tierarzt hatte es auf der Stallgasse versorgt. Die Schnitte waren nicht allzu tief. Auch „Alpi“ hatte Glück.

 

„Es war abzusehen, wann einmal ein Pferd in den Spiegel springen würde“, kommentierte Rolf altklug den Bericht. Polly stellte sich den Unfall vor und war im Nachhinein gar nicht mehr so ärgerlich, dass sie zum Einkaufen mitgemusst hatte.

 

Später, als schon viele Erwachsenen zum Reiten im Stall erschienen, bekam sie ein Gespräch am Tresen mit. Es ging darum, dass der Stall-Eigentümer immer an allem sparen würde. Er habe nur seinen eigenen Vorteil im Kopf. Die Kosten für die Einstaller und Reiter würden immer erhöht, aber investieren und instand halten würde der Eigentümer gar nichts. Man müsse eine Versammlung einberufen. Der Eigentümer, Herr Lichtenhügel, war aber auch dummerweise gleichzeitig der erste Vorsitzende des Vereins. Deswegen, und jetzt flüsterten die Erwachsenen nur noch, müsse man eine heimliche Versammlung ohne den Vorsitzenden abhalten.

 

Für Polly war es schwierig alles zu verstehen. Die Wirtin plapperte dann auch noch dazwischen und fragte sie, was sie wolle. „Einen Schokoriegel“, sagte sie ganz schnell, um nichts zu verpassen. Die Erwachsenen flüsterten immer leiser. Polly konnte sich ja schlecht daneben stellen und offen zuhören. Sie bekam aber mit, dass ein anderer als Vorsitzender gewählt werden müsse.

 

Nicht lange danach beobachtete Polly, wie Herr Lichtenhügel im Stall ankam. Die Dame mit den blauen Haaren kam aus ihrem Kabuff geschossen und rannte, fast jedenfalls,  auf den Stalleigentümer zu. Dabei hatte sich eine blaue Strähne aus ihrem sonst so perfekt gestylten Haar gelöst und fiel ihr ins linke Auge. „Die da drinnen planen ...“, hörte Polly die Frau aufgeregt sagen.

 

„Die petzt ja“, dachte Polly noch erstaunt.

 

Dann hörte sie den Reitstall-Eigentümer voll cool zu seiner Verbündeten sagen: „Ich kann den Reitstall auch schließen, alle Ponys verkaufen und eine Go-Kart-Bahn daraus machen“. Pollys Herz blieb stehen.

 

(Fortsetzung folgt….)

 

 

 

 

 

 

 

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