Der Traum eines kleinen Mädchens...(100) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Donnerstag, 13. Oktober 2011 um 08:18

 

Unheimlicher Nachtritt...


Eine ganz besondere Überraschung widerfuhr Polly gestern. Schon als sie den Reitstall nachmittags betrat, lag eine gewisse Spannung in  der Luft. Bevor sie die Chance hatte, die geliebten Ponys zu begrüßen, kamen die Freunde ihr schon entgegen gelaufen. Rolf rief ganz aufgeregt: „Wir warten schon alle auf Dich!“

 

Polly fühlte sich sehr geschmeichelt ob dieser Begrüßung, als Rolf gleich rausposaunte: „Heute hat Harald Geburtstag, und er hat sich etwas ganz besonderes für uns alle ausgedacht.“ Dann plapperten ihre Freunde durcheinander und es dauerte etwas bis Polly kapierte, worum es ging: Harald als Sohn des Reitstall-Eigentümers durfte sich etwas ganz außergewöhnliches wünschen. Nicht nur Kuchen und Kakao für alle, sondern etwas sehr spezielles. Er hatte seinen Vater darum gebeten, dass alle seine Freunde von der Pony-Abteilung auf den Schulponys einen Nachtritt unternehmen durften.

 

Was Polly nicht wusste, war, dass die Sekretärin mit den blauen Haaren den Auftrag hatte, alle Eltern anzurufen und die Erlaubnis für die Teilnahme ihrer Kinder an einem Nachtritt einzuholen. Polly konnte das alles ja nicht ahnen, Deswegen musste Frau Esser auch Pollys Mama erst einmal anrufen. Alle Kinder waren aufgeregt, weil auch einige Eltern noch nicht erreichbar waren.

 

Polly wurde ganz still. Sie kannte ihre Mama. Die würde nie zustimmen. Am anderen Tag war ja Schule und deswegen musste sie immer so früh ins Bett. Von Harald und dessen Schwesterchen Maria wusste Polly, dass die immer länger aufbleiben durften. Die konnten abends sogar noch fernsehen. Auch Maria, obwohl die sogar zwei Jahre jünger war als Polly.

 

Als die Blauhaarige um die Ecke kam, hatte Polly eher das Gefühl, dass ihre Mama keine Erlaubnis gegeben hatte. Die Miene von Frau Esser war sauer wie immer. Streng sah sie auf die Kinder und sagte: „Ich habe mir die Finger wund gewählt, um zu telefonieren. Endlich habe ich mit allem Eltern gesprochen. Ihr dürft alle an dem  Nachtritt teilnehmen. Aber ich bleibe nicht so lange im Büro. Das kann keiner von mir erwarten. Ich will pünktlich nach Hause. Macht was ihr wollt. Aber ohne mich.“

 

Da brach Jubel los. Reitlehrer Herr van Hopps kam angelaufen, er sah ganz genervt aus. Aber er teilte den Kindern nur mit, dass der Hilfsreitlehrer Joachim und seine eigene Tochter Aggi den Nachtritt der Kinder führen würden. Er müsse die Abend-Abteilung der Erwachsenen übernehmen. Dann teilte er die Ponys ein. Polly durfte Little Lord reiten. Das war das aktuelle Lieblingspony von Polly.  Dessen Ekzem am Hals war verschwunden, und mittlerweile glänzte sein schwarzes Fell genauso schön wie das der anderen Ponys.

 

Als sich alle draußen vor dem Stall versammelten, war es noch nicht ganz dunkel. Joachim ritt ein Großpferd, Elfe, eine braune Stute, die nicht so ganz einfach war. Aggi ritt ihren Marco ganz am Schluss der Abteilung. Beide hatten so etwas wie eine Taschenlampe am rechten Stiefel befestigt. Die leuchtete nach vorne weiß, nach hinten rot. Wie die Lichter an  einem Auto. Das musste so sein, damit, solange sie auf der Straße ritten, die anderen Verkehrsteilnehmer die Reiter rechtzeitig wahrnahmen. Es konnte ja keiner damit rechnen, dass eine Pferde-Abteilung bei Dunkelheit einen Ausritt machte. Es war ziemlich gefährlich, und die beiden Großen hielten die Kinder streng an, ganz genau hintereinander zu bleiben und nur gar nicht nebeneinander aufzureiten.

 

Aber sie alle erreichten den Stadtwald sicher und heil. Da die Sonne noch nicht ganz untergegangen war, konnten sie sogar an der Rennbahn entlang antraben und leicht traben. Unheimlich rasch wurde es ganz dunkel. Besonders finster im Wald, wo ja keine Laternen standen. So hatten es sich die Kinder nicht vorgestellt. Nur die Lämpchen von Joachim vorne und von Aggi hinten gaben jeweils ein kleines Licht ab. Aber von einem Ausleuchten des Reitweges konnte man ganz und gar nicht sprechen.

 

Anfangs machten die Jungen noch ihre Witzchen und versuchten den Mädchen Angst zu machen. Allmählich wurden die dann aber auch still. Man sah fast gar nichts mehr. Durch die Baumwipfel drang kein Licht mehr. Polly lauschte auf jedes Geräusch. Nur hier und da schnaubte eines der Ponys. Sie hörte keinen ihrer Freunde sprechen. Die Tritte der Pferde im Sandboden waren lange der einzige Laut, den sie vernahm. Dann wieder vereinzelt ein Schnauben.

 

Es hatte keinen Sinn mehr, irgendwie auf das Pferd unter ihr einzuwirken. Es musste sich seinen Weg hinter dem Vorderpferd selber finden. Polly konnte nichts mehr erkennen. Manchmal sah sie schwarze Umrisse des Vorderreiters gegen den grauen Hintergrund. Mehr nicht. Auf einmal fühlte sie sich seltsam, irgendwie alleine und verloren. Aber sie wusste natürlich, dass die anderen noch da waren. Sie hörte ihre Tritte auf dem Boden. Manchmal schien der Mond ein wenig durch die Wolken und spendete etwas Licht. Aber nicht viel. Dann verschwand er wieder hinter einer schwarzen Wolke.

 

Auf einmal spürte Polly etwas in der Luft neben sich. Auf Höhe ihres Kopfes. Es bewegte sich mit ihr, blieb neben ihr. Aber sie konnte nichts sehen oder hören. Keinen Flügelschlag.  Dennoch war sie sicher, dass da etwas war. Sie nahm eine Bewegung war. Da fiel Polly ihr Schutzengel ein. Konnte es sein, dass ein Engel neben ihr her flog?

 

 

Plötzlich war es weg. Sie war wieder ganz für sich. Das Pony zwischen ihren Beinen ging ganz gleichmäßig. Jeden Schritt spürte sie, jede Bewegung. Zwar konnte sie die Ohren des schwarzen Ponys im Dunklen nicht mehr erkennen, fühlte aber, dass sie aufmerksam nach allen Seiten lauschten. Genau wie sie selber auch. Das rhythmische Schaukeln von Little Lord versetzte sie in einen Zustand, in welchem sie sich in einem  Traum zu sein glaubte. Ihre Gedanken verschwanden. Sie lauschte nur noch auf ihr Pony, auf die Geräusche, die aus der Dunkelheit zu ihr drangen. Woher wussten die Ponys, wo das Vorderpferd herlief? Polly ließ die Zügel nun einfach lang. Sie versuchte gar nicht mehr, irgendeinen Einfluss auf ihr Pony zu nehmen. Sie vertraute dem Pferd ganz und gar. Es ging immer noch sicher und gleichmäßig hinter den anderen her. Aggis Marco schnaubte hinter ihr. Ein gutes Gefühl!

 

Da! Plötzlich ein Bellen. Mitten im Wald, ganz im Dunklen, bellte ein Hund. Alle waren erschrocken. Keiner hatte damit gerechnet. Wie kam nur ein Hund um diese Zeit in den Wald? Hier würde doch niemand mehr Gassi gehen? Es war so dunkel, dass man die Hand nicht vor den Augen sah. Das Bellen entfernte sich. Es wurde immer leiser und verschwand ganz in der Schwärze der Nacht.

 

Die Kinder und auch die beiden Großen waren aus ihren Träumen aufgeschreckt. „Gleich kommen wir an die Straße. Dann sind wir bald zuhause“, sagte Joachim. Polly meinte bei den anderen Kindern so etwas wie ein Aufatmen zu vernehmen. Die Spannung war gebrochen. Nun konnten sie die ersten Straßenlaternen schon sehen. Damit war es wirklich nicht mehr weit.

 

Als sie den Stall betraten, um die Ponys zu versorgen, blendeten sie die Neonröhren an der Decke. Aber das war gut so.

 

In der Tränke warteten schon  die Eltern auf ihre Kinder. Der Bauer, der immer das Heu und Stroh lieferte, stand bei ihnen am Tresen. Die Reiter der Abend-Abteilung tranken dort mit dem Reitlehrer van Hopps Bier. Bei den Erwachsenen herrschte für einen Wochentag selten ausgelassene Stimmung. Als die Kinder von dem armen Hund im Wald erzählten, brach der Bauer in schallendes Gelächter aus. Er hörte gar nicht mehr auf zu lachen. Ihm liefen die Tränen links und rechts die Wangen herunter. Dann sagte er: „Kein Hund im dunklen Wald. Es war Schrecken! Ein Reh hat geschreckt. So nennt man das, wenn Reh Laute von sich geben. Es klingt so ähnlich wie Bellen. Erst wenn man das ein paar Mal gehört hat, kann man das unterscheiden.“ Er lachte noch lange weiter.

 

Polly atmete erleichtert auf. Ein einsamer Hund im dunklen Wald hätte sie noch in ihren Träumen beschäftigt. Nun merkte Polly, dass sie schlafen wollte, nur noch schlafen.

 

 

(Fortsetzung folgt….)

 

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