Der Traum eines kleinen Mädchens...(119) Drucken
Geschrieben von: Uta Ludwig   
Mittwoch, 14. März 2012 um 19:02

Auftritt der Familie "Neureich" im Stall...

 

 

Seit Kurzem verkehrte eine neue Familie im Reitstall Hubertus. Vater, Mutter und drei Kinder. Das dritte Kind, ein Junge, Stefan, ritt aber nicht. Die beiden Mädchen schlossen sich schnell Pollys Clique an. Es waren Martine und Brigitta. Der Vater dieser beiden Schwestern war „neureich“. Das jedenfalls wurde unter den Erwachsenen hinter vorgehaltener Hand erzählt. Er machte in Aluminium. Natürlich dauerte es nicht lange, bis die Kinder und Jugendlichen aus dem Reitstall diese Information aufnahmen. Alles war bei den Kindern wie im Kopf verankert. Familie Neureich blieb eben für alle Zeit Familie Neureich.

 

Dieser Umstand wurde noch dadurch unterstrichen, dass Herr „Neureich“ mit einem eigenen Dressurpferd im Stall einzog. Er vergaß bei keiner Gelegenheit zu erwähnen, dass er vorher mit seinem Pferd aus dem alteingesessenen und bis dato vornehmsten Stall der Stadt gekommen sei. Aber die Schließung dieser erwürdigen Einrichtung im Zentrum der Stadt „verdankte“ es der Reitstall Hubertus, der nur an der Peripherie der Stadt lag, dass Herr Neureich sich gezwungen sah, diesen Wechsel vorzunehmen. Er schien es äußerst zu bedauern, obwohl er direkt in der Nachbarschaft von Hubertus seinen Bungalow hatte.

 

Martine und Brigitta konnten notfalls sogar zu Fuß in den Reitstall Hubertus laufen. Von nun an waren sie fast täglich dort anzutreffen. Wie alle Neuen wurden sie zunächst argwöhnisch beäugt. Martine war sehr nett. Aber etwas pummelig und daher sehr zurückhaltend. Als ältere der beiden Schwestern war sie mit zwölf Jahren so alt wie Polly. Brigitta war elf. Sie fand großen Anklang bei den Jungen aus der Clique. Für ihr Alter war sie sehr lang und sehr schlank. Sie hatte blaue Augen und hellblondes, kurz geschnittenes Haar. Ein Schuss fanden die Jungen. Eine Zicke – meinten die Mädchen.

 

Martine war keine echte Sportlerin, was in einem Reitstall nicht gerade positiv auffiel. Brigitta dagegen gab eine überaus gute Figur auf dem Pferd ab. Manchmal ritt sie Ponys. Aber eben sooft ritt sie das Dressurpferd ihres Vaters, den hellbraunen,  stichelhaarigen Wallach Aviso. Dieser wurde von der gesamten Familie Neureich als tolles Dressurpferd gepriesen. Und es wurde wahrlich nicht verheimlicht, wie teuer das Pferd gewesen wäre.

 

Anfangs machte Herr Neureich immer ein Getue, schon beim Satteln seines Pferdes. Es zog unwillkürlich die Kinder und Jugendlichen an. Sie standen drum herum, wenn Herr Neureich sein Pferd putzte und sattelte. Immer wieder scheuchte er die Meute beiseite unter dem Motto: Abstand halten. Dabei hielt er Vorträge darüber, dass man nicht vorsichtig genug sein könne im Umgang mit so großen Tieren. Es könne ja immer mal passieren, dass ein Pferd zu Seite springen würde oder gar ausschlagen könnte. „Ist der ängstlich,“ dachte Polly.

 

Auch Polly ließ sich anfangs von den klugen Sprüchen des Herrn Neureich, der angeblich aus einem Reitstall kam, in dem früher nur Offiziere des Militärs oder Adlige verkehrten, anziehen. Sie hörte seinen Vorträgen aufmerksam zu.

 

Eines Tages, als sie einmal alleine dabei stand, als der neue Herr Aviso pflegte, traute sie sich Fragen an ihn zu richten. In ihrer Fantasie stellte sie sich diesen ehrwürdigen Stall in der Mitte ihrer Stadt so ähnlich  wie einen indischen Palast vor. Herr Neureich hatte von großen Bögen über Toren und Fenstern gesprochen. Es kam aber heraus, dass die Reithalle mit den Maßen vierzig mal zwanzig Meter dazu ziemlich alt war. Die übrigen Gebäude und Stallungen bestanden aus alten roten Backsteinen.

 

Als Polly das hörte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: sie kannte diesen legendären Reitstall. Sie selbst war dort schon gewesen. Eine Zeit lang nahmen sie und ihre Schulfreundin Moni, als sie ungefähr zehn waren,  dort Schulunterricht auf Großpferden. Von dort kannten sie auch Herrn Weber, welcher immer nach Hubertus kam, um die Turnierreiter zu trainieren.

 

Also, so vornehm, wie Herr Neureich seinen früheren Stall verherrlichte, war der Polly gar nicht vorgekommen. Außerdem spielten heutzutage Offiziere und Adlige in der normalen Reiterei keine Rolle mehr. Es war also gar nichts Besonderes, von wo die Neureichs herkamen.

 

Auf einmal fragte sich Polly, war vielleicht alles, womit Herr Neureich und die Seinen so  angaben, gar nicht so hervorragend? Polly lief hinter Aviso her, als er in die Reitbahn geführt wurde. Sie stellte sich an die Bande, wo zufällig auch gerade Aggi stand. Aggi gehörte zu den Turnierreitern. Ihr Vater war der Reitlehrer des Stalles und sie hatte schon viel in der Reiterei erlebt. Immer wieder wandte sich Polly an Aggi, wenn sie Fragen hatte. Jetzt war wieder so eine Situation.

 

Aber die beiden warteten erst einmal. Dabei beobachteten die Damen, wie Herr Neureich sein Pferd bestieg. Dabei schnallte er erst den linken Bügel länger, um überhaupt reinzukommen, dann, von oben wieder kürzer, damit beide Bügel gleich lang waren.

 

Sie beobachteten genau, wie er antrabte und leicht trabte. Polly schaute genauer hin als sonst. Es schien, als hätte Herr Neureich die Bügel zu lang verschnallt. Seine Absätze waren hochgezogen, die Knie ebenfalls. Aber erst beim Aussitzen erfasste Polly das ganze Dilemma. Ihr war schon klar, dass Herr Neureich sich für einen großen Dressurreiter hielt und deshalb die Steigbügel so lang wie möglich haben wollte. Seine Körperlänge, er war nämlich nicht sehr groß, dabei aber etwas dick, ließ ein geschmeidiges Mitschwingen im Trab nicht zu. Die Absätze und Knie zu hoch, die Bügel zu lang: der Mann konnte nicht aussitzen, er hoppelte auf dem Pferd herum. Er fand einfach keinen festen Halt.

 

Aggi sprach es aus: „Wie ein Dressurreiter sieht der nicht aus!“ Polly blieb die Luft weg. In diesem Moment fiel das Ansehen des Herrn Neureich in sich zusammen. Er war letzten Endes auch nur ein Reiter im Reitstall Hubertus wie die anderen. Nicht mehr und nicht weniger.

 

In diesem Moment bogen Martine und Brigitta um die Ecke. Sie stellten sich neben Aggi und Polly, die auf einen Schlag verstummten.  Sofort holte Brigitta Luft, hob den Kopf, schaute Aggi und Polly nicht an, sondern ihr Blick schweifte in die  Ferne und verkündete: „Gleich fahren wir ein neues Pferd anschauen.“

 

Brigitta fügte noch hinzu, dass sie den Aviso nicht abgeben würden, sondern ein zweites, eigenes Pferd dazukaufen würden und zwar ein noch besseres Dressurpferd als Aviso schon sei.

 

Also, reich müssen die schon sein, dachte sich Polly. Sie sagte aber nichts. Ihr fiel nur auf, dass Martine nichts hinzu fügte, sie blieb stumm und ließ ihre Schwester reden. Polly stellte sich neben Martine. „Sicherlich ist das zweite Pferd für Dich?“ fragte sie. Doch Martine schüttelte traurig den Kopf. „Brigitta ist die gute Reiterin. Aber eigentlich kauft mein Vater ein noch besseres Dressurpferd für sich. Er will auf Turniere gehen.“

 

Polly staunte. Sie sah Herrn Neureich nun mit ganz anderen Augen. Anstatt erstmal sein eigenes Reiten zu verbessern, kauft der sich einfach ein besseres Pferd. Und dann ab aufs Turnier… Aber, ob der gewinnen kann? Polly konnte sich das nicht vorstellen.

 

An diesem Tag begriff sie, dass Geld im Leben doch eine gewisse Rolle spielte. So langsam begriff sie auch, dass Herr Neureich seinen Spitznamen aus einer ebenfalls gewissen Art von Neid bekommen hatte. Die Erwachsenen hatten es gleich kapiert, wie der tickt. Blanker Neid der anderen Stallmitglieder brachte dieser Familie den Spitznamen ein. Sie taten Polly fast leid.

 

Sie drehte sich um, nahm die rundliche Martine freundschaftlich in den Arm und ging mit ihr eine Cola trinken. Dies war der Anfang einer schönen Mädchenfreundschaft.

 

(Fortsetzung folgt…)

 

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