Deutsche Springreiter chancenlos auf eine Medaille zum Abschluss Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Samstag, 07. August 2021 um 19:11

Belgiens Coach Pit Weinberg (Mitte) mit seiner Equipe - Bronze wie 1976 bei den Spielen in Montreal

(Foto: privat)

Die Gesichter sagten bereits alles. Selten zuvor mussten deutsche Springreiter olympische Orte so desillusioniert verlassen wie nun Tokio. Weder im Einzel- noch im Teamwettkampf war eine Medaille sichtbar – Gold ging erstmals nach 97 Jahren zum Abschluss wieder an Schweden.

 

In eigenen Rückblicken zu denken, schmerzt, aber ist die Wahrheit. Man muss nicht wirklich in Tokio gewesen zu sein, um ein Fazit zu ziehen. Die virtuelle Welt ist überall und ständig wiederholbar. Und man sieht gar mehr aus der Ferne am TV als direkter Zuschauer. Nähe hat nur die Kamera, alles andere sind eben Erzählungen, Meinungen, Weitergesagtes. Olympia hautnah zu erleben, ist anders als die Daheimgebliebenen meinen oder glauben. Olympia als Weltfest des Sports wurde am 5. September 1972 in München erdolcht durch das Attentat  palästinensischer Terroristen auf die israelische Mannschaft im Olympischen Dorf, der Heiterkeit beraubt. Und doch, Olympia bleibt für einen Sportler das Allerhöchste, was erstrebenswert ist. Und das kam in Tokio vielleicht direkter durch die Athleten heraus, ohne Zuschauer, ohne die wogende Begeisterung in den Stadien, Hallen oder auf den Straßen. 

Olympia widerlegt Meinungen, Aussagen, aber Olympia ist einzigartig trotz der anscheinend nicht ausschaltbaren Politik. Doch für den Reitsport gelten auch bei Olympia andere Gesetze, vor allem bei jenen Nationen, die die Richtung vorgeben. Und dazu gehörte vor Jahren auch Deutschland mit der Dressur und natürlich dem Springsport. Und zu den Reiterspielen wollte von sich aus nur stets jener, der sich dafür auch qualifiziert hielt. So sagte damals Hartwig Steenken, Mannschafts-Olympiasieger 1972 in München und Weltmeister 1974: „Nach Olympia gehe ich nur mit einem Pferd, wenn ich auch eine Chance habe zu gewinnen.“ Deshalb verzichtete er auf einen Start 1976 in Montreal, wo sein Freund und ständiger Konkurrent Alwin Schockemöhle siegte, und der meinte: „Olympia ist das Größte im Sport, da muss an die Grenzen der Leistungsfähigkeit von Reiter und Pferd gegangen werden.“

Dieses Denken scheint sich jedenfalls in Deutschland geändert zu haben. Tokio und Olympia hatten wohl nicht die Bedeutung wie in Schweden. Von den Skandinaviern tauchte kaum einer auf der geldträchtigen Global Champions Tour vor Tokio auf, die schwedischen Pferde waren dafür auf den Punkt top fit. Die Nordländer hatten schon alle drei Teammitglieder in der Endrunde um die Einzelmedaillen, und im Teamwettbewerb holten sie Gold nach Stechen, zu dem alle drei Mannschaftsreiter anzutreten hatten gegen die USA, nämlich Peder Fredricson auf All In, Henrik von Eckermann auf Kind Edward und Malin Baryard-Johnsson auf Indiana. In der Entscheidung war das Trio 1,32 Sekunden schneller als die US-Amerikaner Jessica Springsteen auf Don Juan, McLain Ward auf Contagious und Laura Kraut auf Baloutinue nach ebenfalls fehlerlosen letzten Umläufen. Nach dem Normalparcours hatten beide Equipen je acht Strafpunkte, so musste um Gold gestochen werden. Bronze ging an die von Peter Weinberg (Herzogenrath) gecoachte belgische Auswahl mit Gregory Wathelet auf Nevados S, Peter Devos auf Claire Z und Jeremoe Guery auf Quel Homme de Hus, die am Ende 12 Fehlerpunkte auf dem Ergebniszettel stehen hatte. Schwedische Equipen waren Goldmedaillengewinner bei den ersten Reiterspielen 1912 in Stockholm, 1920 in Antwerpen und 1924 in Paris.

Schon im Endlauf um die Einzelmedaillen war nur Daniel Deußer mit Killer Queen auf der Starterliste, er hatte am Ende acht Strafpunkte. Im Stechen setzte sich der Brite Ben Maher auf Explosion vor Peder Fredricson auf All In und dem Niederländer Maikel van der Vleuten auf Beauvillee Z durch, dahinter die beiden weiteren Kollegen von Fredricson aus Schweden. Danach fragte der frühere Nationen-Preisreiter und Parcoursbauer Hauke Schmidt (Glems): „Kennen die deutschen Reiter bzw. ihre Pferde keine Tripple Barre mehr? Damit muss doch bei einem solchen Wettbewerb gerechnet werden, ist doch eigentlich völlig normal. Nicht zu verstehen, dass da solche Schwierigkeiten auftreten, kann man doch trainieren.“ Bundestrainer Otto Becker nach Ende der Springkonkurrenzen: „Enttäuschend.“ Stimmt.

Das deutsche Trio mit Andre Thieme auf Chararia (8 Strafpunkte) und Maurice Tebbel auf Don Diarado (4) sowie Daniel Deußer auf Killer Queen fiel gar aus der Wertung, weil Deußer nach einem Abwurf und dem anschließenden Steher in der Dreifachen Kombination zurecht aufgab, die Stute wirkte müde und eine Ergebniskorrektur war nicht mehr möglich. So wurde Deutschland an neunter Position platziert, Vorletzter vor Großbritannien, das bereits mit zwei Startern 24 Strafpunkte gesammelt hatte, so dass Ben Maher mit Explosion W sich streichen ließ.

Geradezu vom Pech verfolgt war die französische Equipe. Sie hatte bereits die Goldmedaille am Hals, denn Mathieu Billot auf Quel Filou und Simon Delestre auf Berlux Z (je 1 Strafpunkt für Zeitüberschreitung) waren fehlerfrei geblieben, doch der Hengst Vancouver mit Penelope Leprevost im Sattel verweigerte plötzlich die Gefolgschaft, das Paar wurde abgeläutet – und ließ die Schweden und US-Amerikaner nochmals satteln zum Stechen…

 

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