Ohne Sport wäre das Pferd ausgerottet... Drucken
Geschrieben von: Dr. Friedrich-Wilhelm Lehmann/ DL   
Donnerstag, 12. August 2021 um 12:38

Schliersee. Möglicherweise ist der Pulverdampf verraucht, den das Fiasko des Auftrittes der Reiterin Annika Schleu beim reiterlichen Wettbewerb im „Modernen Fünfkampf“ der Olympischen Spiele in Tokio hinterlassen hatte. Unschön aber auch die Kommentare gegen das Reiten an sich, meint in einem Kommentar der bekannte Anwalt und Pferdemann Dr. Friedrich-Wilhelm Lehmann.

 

Ja, die Bilder, die man in den Medien von der Reiterin im Fünfkampf der Olympiade in Tokio gesehen hat, waren wahrlich unschön. Unschöner jedoch ist eine Hetzkampagne gegen das Reiten an sich, vor allem gegen die Disziplin Springreiten im Fünfkampf und darüber hinaus gegen Turniere in der Vielseitigkeit - geschichtlich auch Military genannt. 

Auch selbsternannte Tierschützer melden sich zu Wort. Sie glauben, so manches besser zu wissen oder der Hüter der Wahrheit zu sein.  Es mag im Kern auch gut so sein. Denn die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das zwar Grenzen hat, aber nicht zum Maulkorb führen darf. Aber nicht jede Meinung darf die Wahrheit für sich beanspruchen. Eine alte Volksweisheit besagt: “Wer am lautesten schreit, hat Unrecht”. Allerdings wussten Philosophen im römischen Reich, also in den Zeiten vor der Herrschaft von Medien: “semper aliquid haeret” (Es bleibt stets etwas hängen).

Blick zurück nach vorn… 

Der Fünfkampf (Pentathlon) wurde von Pierre de Coubertin, dem Initiator der Olympischen Spiele der Neuzeit ins Leben gerufen. Diese Sportart gilt als der vielseitigste olympische Wettkampf. Diese Disziplin des Pentathlon (aus dem Altgriechischen: Fünfkampf) stand erstmals bei Olympia 1912 in Stockholm als "moderne Form "des antiken Pentathlon auf dem Programm, bestehend aus den fünf verschiedenen Einzeldisziplinen als kombinierter Mehrkampf: Pistolenschießen, Degenfechten, Schwimmen, Geländeritt und Querfeldeinlaufen. Hierin zeigten sich die damaligen militärischen Anforderungen. Das Pferd wurde anders als früher nicht mehr im Kampf der militärischen Schwadronen, sondern im Gelände zur Aufklärung der Positionen der Feinde und zur Übermittlung von Botschaften an die Kameraden hinter den feindlichen Linien eingesetzt. 

Entsprechend der militärischen Legende wurde 1912 bis 1984 jeweils ein Geländeritt  veranstaltet, dessen Länge bis 1968 eine Strecke von 5 km  mit Hindernissen betrug; das entsprach einer Dauer von ca. 10 Minuten. 1972 wurde die Entfernung auf 1 km verkürzt. Ab 1988 fand der pferdesportliche Wettkampf als Springreiten statt mit Hindernissen bis 1,20 m.

Das Besondere am antiken  und “Modernen Fünfkampf” sind die wechselnden   Anforderungen an den Sportler in den unterschiedlichen Einzeldisziplinen. Die Disziplin Reiten – sei es bis 1987 das Geländereiten oder ab 1988 das Springreiten – erfordert einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn, Einfühlungsvermögen und Feingefühl im Umgang mit dem Partner Pferd.

Seit dem Jahr 1996 werden alle fünf Durchgänge an einem Tag durchgeführt. Dies ist wenig Zeit. Die Zeitenge kann zu unpassenden Reaktionen zwischen Reiter und dem fremden Pferd führen. Geschichtlich gab es beim Militär schon immer Pferdewechsel. Dies lag (leider) in der Natur des Krieges und der Verwendung der Pferde.

Pferde und Reiter waren darauf trainiert, Fremdreiter zu ertragen. Ob man diese Art  im modernen Fünfkampf beibehalten sollte, gilt es zu überdenken.

Der Pferdewechsel in unserer heutigen Zeit kann zu einem Vertrauensbruch zwischen Pferd und Mensch führen. Man hat ja auch den Pferdewechsel bei den Springreiter-Weltmeisterschaften vor paar Jahren abgeschafft, da man den Pferdewechsel den Pferden nicht mehr zumuten wollte. Obwohl vor der Abschaffung dieser altmilitärischen Anforderung des Pferdewechsels – erstmals praktiziert bei den Weltreiterspielen 2018 in Tryon/ USA - sicherlich die weltbesten Vier im Finale ihre eigenen Pferde auch den Konkurrenten zur Verfügung stellen mussten. 

Pferd ohne Sport kaum Überlebenschance

Die Kameradschaft zum Pferd war schon in der Antike selbstverständlich, wie man aus der Lehre des Feldherrn Alexander des Großen weiß. Leutnant Caprilli und ihm folgend die alte Garde von Reitern aus der italienischen Militär-Schule in Tor di Quinto oder der  Kavallerieschule Hannover nahmen die historischen Erkenntnisse auf. Ihnen wurde bewusst, dass das Pferd nicht mehr im Krieg als Kanonenfutter dienen und reihenweise mit den erfundenen Schnellfeuergewehren niedergemäht werden darf, sondern in Zukunft möglichst nur der Aufklärung dient. Nur so erhielt das Pferde die Chance, nicht “ausgerottet” zu werden. Heutzutage haben Pferde nur im Großen und Ganzen die Überlebenschance als Sportpferde, nachdem sie auch in der Land- und Forstwirtschaft größtenteils keine Verwendung mehr finden.

Die Aufklärung beim Militär setzte voraus, dass Reiter und Pferd über unwegsames Gelände hinweg von Stützpunkt zu Stützpunkt Informationen am Feind vorbei transportierten. Die Alten so wie Leutnant Caprilli, Freiherr von Nagel, 

Rolf Becher,  Burchy von Jena oder der große Micky Brinckmann  und andere Reitergrößen erkannten die Bedeutung der Worte “Vertrauen zwischen Pferd und Reiter”. Ich erinnere mich an ein Bild, das einen Sprung von Freiherrn von Nagel mit seinem Pferd Wotan über einen Oxer von 5 Metern Breite und 1,40 Metern Höhe zeigt. Das Pferd wirkt trotz der gewaltigen Kraft, die es eingesetzt hat, entspannt. Der Reiter schaut im Sprung lächelnd in die Kamera. Beide haben offensichtlich das Vertrauen zueinander.

Pferd und Reiter haben das Bewusstsein, dass der Kamerad Pferd oder in umgekehrter Richtung der Kamerad Reiter verlässliche Partner sind. Wenn der Reiter dem Pferd etwas zumutet, was in der Natur des Pferdes Schrecken bis hin zur Todesangst erzeugen könnte, dann gerät das Pferd in Panik und der Reiter verkrampft sich. Es ist kein Geheimnis: Pferd und Reiter haben wegen des ständigen Umganges miteinander und aus den Erfahrungen das wechselseitige Vertrauen gelernt. 

Aus der Sicht  des Pferdes bedeutet dies: Das Pferd  hat im Umgang mit dem Reiter als seinem Kameraden die Erfahrung gemacht, dass ihm nichts oder nicht viel passieren kann, wenn es des Reiters Willen erfüllt, sich beide über unwegsames Gelände bewegen, wenig einladende Hindernisse überwinden, Seen durchqueren oder Steilhänge herabgleiten. Ich besitze eine Fülle von Bildern aus der Zeit der der Military einschließlich einzelner Bilder von Caprilli im Sprung. Die Bilder zeigen, wie der Reiter mit seinem Pferd und in welchem Sitz reiten und springen sollte und wie nicht.

Beim Pferdewechsel ist es anders. Pferd und Reiter kennen sich nicht. Doch genau darauf komme es im Reitsport an, sagte Team-Olympiasiegerin Dorothee Schneider aus Framersheim: “Der Reitsport lebt von der Partnerschaft – Reiter/ Pferd. Diese entwickelt sich über viele Jahre. Das ist eine Freundschaft, das ist ein Hand in Hand gehen, das ist ein wirklich individuelles, intimes Verhältnis. Eine Partnerschaft mit dem zugelosten Pferd ist in der Kürze der nach den Regeln zur Verfügung stehenden Zeit kaum möglich.” 

Besser und mit mehr Herz kann man es wohl kaum sagen. Sagen kann es nur eine Reiterin oder Reiter, wenn das Pferd nicht als Sportgerät empfunden wird. Sie degradieren es nicht zum „Material“. Ein Pferd ist kein Material.

 

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