Springreiter-Europameisterschaft ohne Deutschlands Beste - Deußer und Ahlmann... Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Dienstag, 22. August 2017 um 21:23

 

Göteborg. An diesem Mittwoch beginnen in Göteborg die 35. Springreiter-Europameisterschaften seit 1953, die beiden auf der Weltrangliste höchstplatzierten Daniel Deußer und Christian Ahlmann reiten nicht für Deutschland, sie weigerten sich eine Schiedsvereinbarung zu unterschreiben, möglicherweise zurecht, beide sind nämlich fn-geschädigt…

In Valkenswaard beim Turnier der Global Champions Tour vor einer Woche hatte sich Christian Ahlmann (Marl) dahingehend geäußert, er würde während der Europameisterschaft Urlaub machen in Griechenland. Er war Team-Olympiadritter in Athen 2008 und in Rio de Janeiro im letzten Jahr, Doppel-Europameister 2003 in Donaueschingen und Weltcupsieger 2011 in Leipzig, er war schon Weltranglisten-Erster und auf der augenblicklichen Liste liegt er an siebter Stelle. Sein Vater Georg eierte mehr oder weniger herum auf die Frage, warum denn sein Sohn nicht nominiert wäre für Göteborg, er meinte, Christian  habe keine entsprechenden Pferde, eines verletzt, zwei zu alt. Daniel Deußer (36), der aus dem Nicht-Millionäre-Milieu kam und einzig allein durch sportliches Können, Talent und Fleiß ganz nach oben stieg,  gab eine direkte Antwort: „Wir haben die Schiedsvereinbarung mit dem Verband  nicht unterschrieben.“ Das Papier legt fest, dass bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung, zum Beispiel wegen Dopings, wegen Medikation oder wegen der sogenannten Blutregel der Reiter kein ordentliches Gericht angerufen kann, sondern dass das Deutsche Sportschiedsgericht zuständig wäre. Jahrelang, so sagte einer der beiden, habe auch der Leitwolf Ludger Beerbaum geraten, diese Vereinbarung nicht zu unterschreiben.

175 waren angeschrieben worden wegen der Unterzeichnung, so Dr. Dennis Peiler (37), erst ab 2012 Geschäftsführer des Deutschen Olympiadekomitee für Reiterei (DOKR), federführend für den sportlichen Ablauf im deutschen Verband, „173 haben ihre Unterschrift geleistet.“ Ahlmann und Deußer nicht, zwei Eckpfeiler im deutschen Springsport verweigerten. Peiler weiter, alle Mitglieder der einzelnen Sportverbände in Deutschland müssten diese Vereinbarung unterzeichnen, so wolle es das Bundesinnenministerium des Inneren, von dort käme auch das Geld für die Föderationen. Doch das BMI wiederum macht nur den Geldhahn auf, wenn entsprechende Erfolge vorliegen, und Erfolge im Springsport – das sind Medaillen.

Tür steht natürlich weiter offen…

Dennis Peiler schildert den Ablauf, wie er sich und der Springausschuss um die Unterschriften von Deußer und Ahlmann bemühten. Peiler: „Sie kamen ja auch früher schon ganz spät, zum Beispiel vor den Olympischen Spielen in Rio.“ Doch diesmal sei man von Verbandsseite einen anderen Weg gegangen, Anfang des Jahres bereits sollte unterzeichnet werden. Ahlmann und Deußer passten.  Bundestrainer Otto Becker und der Ausschuss hätten auf beide eingeredet, wiederholt, auch noch mehrmals in Aachen beim CHIO, ohne Erfolg. Beide gehören nun nicht mal mehr einem Kader an, und Kaderzugehörigkeit ist Voraussetzung für Einsätze in Nationen-Preisen oder Championaten und Olympischen Spielen. Folge: „Wer nicht unterschreibt, hat kein Anrecht auf eine Kaderzugehörigkeit“, so Peiler. Daniel Deußer wundert sich dennoch: „Ich gehöre keinem Kader mehr an, kann also keinen Nationen-Preis mehr reiten – und werde dennoch von der Dopingkommission kontrolliert wie zwei Wochen nach dem CSIO von Frankreich in La Baule, als gehörte ich zu einem Kader...“ Mit der Unterschrift der Schiedsvereinbarung unterwirft sich der Sportler den Regularien einer Föderation wie Anzugsordnung, Dopingkontrollen oder der sportlichen Gerichtsbarkeit eines Verbandes. Dennis Peiler: „Ich will es klar sagen: Für beide steht nach wie vor die Tür zur Kaderzugehörigkeit offen, vom Können her kein Zweifel…“

Aber die deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) sollte, nein, müsste endlich auch einmal von der Kanzel der Selbstherrlichkeit heruntersteigen. Angefangen bei Christian Ahlmann.Der Westfale erlitt die schlimmsten Momente als Reiter und Mensch in Hongkong und danach zuhause bei der Rückkehr von Olympia. Bei seinem Wallach Cöster war während der von Peking nach Hongkong ausgelagerten Olympischen Reiterspiele das durchblutungsfördernde Mittel Capsaicin festgestellt worden, vom Weltverband (FEI) als Medikation eingestuft, nicht als Doping. Ahlmann: „Zwölfmal war ich in Kontrollen gekommen, niemals waren meine Pferde auffällig, obwohl ich das offen erhältliche Mittel mit der die Durchblutung fördernden Substanz angewandt habe.“ Die deutsche Teamleitung schickte ihn sofort nach Hause. Und dort begann das wahre Spießrutenlaufen. Bereits am Flughafen lauerten Kameras und Reporter, im heimatlichen Marl waren Übertragungswagen aufgefahren, überall stand jemand mit Mikrofon oder gezücktem Kuli und Notizblock. Christian Ahlmann: „Wie ein Dieb habe ich mich in der Dunkelheit über den Springplatz ins Wohnhaus geschlichen, ich sagte mir nur noch: Jetzt bist Du am Ende.“

Die deutsche Föderation (FN) schloss den Reiter sofort im Eildurchgang für zwei Jahre von internationalen Turnieren aus, der Weltverband (FEI) hatte ihn nur für vier Monate gesperrt. Dagegen wiederum gingen die deutschen Verbandsoberen in Warendorf an. Auf Drängen des deutschen Verbandes, der bisher Christian Ahlmann nie auch nur annähernd unterstützt hatte, wurde Capsaicin nun zum Doping hochgejazzt. Ahlmann ging bis zum höchsten internationalen Sportgericht, CAS. Auch dort unterlag er. Aber auch der International Court of Arbitration for Sport (CAS) konnte ihm kein Doping und somit Tierquälerei nachweisen. Aber die von Warendorf einstudierten Juristen drechselten die Angelegenheit dahingehend, Capsaicin böte letzten Endes die Möglichkeit, bei entsprechender Anwendung  Pferde zu quälen. Die gesamten Prozess- und Anwaltskosten beliefen sich auf rund 250.000 Euro. Vier weitere Springreiter, deren Pferde in Hongkong ebenfalls auf Capsaicin getestet worden waren, akzeptierten auf Anraten ihrer Anwälte widerspruchslos die Sperre von vier Monaten und waren rasch wieder im Sport unterwegs.

Daniel Deußer oder zehn Jahre danach

Auch der Fall Daniel Deußer ist ein Harakiri-Stück der deutschen FN. Der Hesse, der inzwischen für den Stall Stephex bei Brüssel reitet, war damals in seiner seltsamen juristischen Zwistigkeit noch nichts. Auf internationalen Plätzen redete man nicht von und nicht über ihn. Er war ein normaler Bereiter in einem Turnierstall, aber der gehörte dem Niederländer Jan Tops in Valkenswaard. Und Tops, der bekanntermaßen vor elf Jahren die Global Champions Tour erfand, zu den Mächtigsten im Turniersport gehört, mit dem legte sich die deutsche FN an, was inzwischen durchaus als fahrlässig beurteilt werden darf. Damals war Deußer noch nicht zweimal Deutscher Meister, noch nicht Team-Olympiadritter und nicht Weltcupgewinner, aber er war schon ein unglaublich guter Springreiter. Mit Tops jedoch hatte sich die deutsche FN einen ausgesucht, dem sie nach wie vor nicht gewachsen ist. Bisher hat sie alle Prozesse vor ordentlichen Gerichten gegen ihn verloren, die nächste Niederlage steht am 22. November in Dortmund an.

Die juristische Story beginnt 2007 in Florida. Deußer, auf dem Weg zum Weltcupfinale in Las Vegas, stellte die Stute Pristina in Wellington/ Florida  in einem mittelschweren Springen vor. Drei Monate später wurde das Dopingergebnis von Pristina veröffentlicht, positiv getestet auf das Beruhigungsmittel Requesit 2. Der Stalltierarzt von Tops erklärte, er habe der Stute das Medikament gegen Flugstress gegeben. Gefunden worden waren fünf Piktogramm des verbotenen Mittels - zwölf Nullen hinter dem Komma. Der Reiter als verantwortliche Person, also Deußer, wurde  für drei Monate gesperrt für Turniere in den USA und musste 2.000 US-Dollar bezahlen. Das US-Sportgericht stellte in der Beurteilung ausdrücklich fest, eine leistungsbeeinflussende Maßnahme habe nicht stattgefunden. Wochen vor dem Gerichtsurteil war Daniel Deußer jedoch mit dem Hengst Air Jordan in Las Vegas Weltcupzweiter im Finale geworden – wie ein Appell für die deutsche FN.

Und sie schlug nachträglich zusätzlich zu. Sie entzog dem Berufsreiter für fünf Monate die Turnierlizenz für das In- und Ausland. Die einzelnen Turnierveranstalter wurden zudem angewiesen, ihm keine Starterlaubnis zu erteilen. Gegen den mündlichen Beschluss, so in der Verkündung, könne kein Rechtsmittel eingelegt werden. Deußer beriet sich mit dem Münsteraner Rechtsanwalt Andreas Kleefisch, der verlor fast die Contenance und sagte: „Was hier ablief, war perfide und  pervers. Eine grobe Rechtsverletzung.“ Und er sagte: „Einer Disziplinarkommission kann es nicht gestattet sein, Staatsanwalt, Richter und Vollstrecker in einer Person zu spielen und Beschlüsse, die offenkundig nicht einmal durch das eigene Vereinsreglement gedeckt sind, für sofort wirksam zu erklären.“

Kleefisch hatte mit einem Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor dem Landgericht Münster Erfolg. Gegen die  FN wurde angeordnet (Aktenzeichen 11 O 139/08), den Beschluss vom 24. März 2008 bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine Jahreslizenz für 2008 nicht mit der Begründung zu versagen, es liege ein wichtiger Grund im Sinne des § 20 Ziffer 1 LPO wegen Dopingvergehens in Zusammenhang mit dem Pferd Pristinna während der Wellington Masters Horse Show vor. Dem Antragsgegner wurde bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 100.000 Euro untersagt, den Antragsteller an der Teilnahme an nationalen und internationalen Reitturnieren zu hindern, soweit dies auf den Beschluss vom 24.04.2008 gestützt werde. Die Kosten dieses Verfahrens wurden dem Antragsgegner auferlegt. Der Streitwert wurde auf 100.000 Euro festgesetzt. Der Antragsgegner wurde außerdem verpflichtet, die nationalen und internationalen Sportverbände sowie die nationalen und internationalen Turnierveranstalter davon in Kenntnis zu setzen. Das Oberlandesgericht Hamm ( AZ I-8 U 195/08 und I-8 U 196/08) bestätigte das Urteil von Münster.

Schadensersatz zwischen 120.000 und 160.000

De gerichtliche Auseinandersetzung hatte seine Fortsetzung vor dem Landgericht in Dortmund. Es ging um Schadensersatz. Das Gericht bestätigte den Entscheid des OLG Hamm und schlug einen Vergleich vor. Darauf konnten sich beide Parteien nicht einigen. Die Siegerseite wollte zunächst mindestens 130.000 €, Tops ging sogar auf die FN zu und wäre mit 25.000 € einverstanden gewesen, wie man inzwischen weiß, was die FN nicht akzeptierte und behauptete, sie habe kein Geld, Jan Tops sollte jedoch eine Verschwiegenheitserklärung abgeben, darauf machte der Niederländer die Tür zu. Er ließ vorrechnen, sein Bereiter habe wegen der Lizenzverweigerung an 84 Tagen nicht starten können, Anhand des Turnierkalenders und seiner Nennungen hätte er im Idealfall 750.000 Euro an Preisgeldern gewonnen.

Man einigte sich darauf, ein neuer Gutachter solle errechnen, wie hoch die mögliche Gewinnsumme Deußers gewesen sein könnte. Die ernannte Gutachterin kam nun auf eine Summe zwischen 120.000 und 160.000 Euro.

Der nächste Termin Tops/ Deußer – FN -  ist auf den 22.November 2017 (12:00 Uhr)  in Dortmund (Landgericht, Saal 247) angesetzt. Es geht um die Höhe des dem Grunde nach feststehenden Schadenersatzes für die unrechtmäßige Sperre von Deußer. Es werden Zeugen gehört, unter anderem Fred van Lierop, Turnier-Manager beim Unternehmen Jan Tops. Auch die Sachverständige, die ein Gutachten zum Schaden durch die nicht erfolgten Starts während der Sperre für das Gericht erstattet hat, wird gehört werden.

 

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