Über die in vielen Ländern verbotene Unsitte des Rasierens der Tasthaare bei Pferden... Drucken
Geschrieben von: Leopold Pingitzer/ DL   
Montag, 25. September 2017 um 14:15

Wien. In Deutschland, der Schweiz und in Österreich ist das Beschneiden oder  Rasieren der Tasthaare bei Pferden verboten – in den USA z.B. nicht, dort wird allem gehuldigt, was der angeblichen Schönheit dient oder auch dazu, Raubkatzen in Wohnungen zu halten, ihnen lässt man dann einfach die Krallen von einem Tierarzt entfernen. Über den Schwachsinn, bei Equiden die Tasthaare entfernen zu lassen, widmet sich in einem Artikel der bekannte österreichische Journalist Leopold Pingitzer in „ProPferd.At.

 

 

Man sollte glauben, dass in Zeiten eines deutlich gewachsenen Tierschutz-Bewusstseins das Thema längst erledigt sei – doch das ist ganz offenkundig nicht der Fall, wie ein aktuelles Beispiel zeigt: Erst vor wenigen Monaten sah sich die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) veranlasst, einen ,Reminder' an ihre Mitglieder zu verschicken, in dem auf das Verbot des sogenannten ,Clippens' ausdrücklich hingewiesen wird. Darin heißt es: „Wir möchten sie auf die Tatsache aufmerksam machen, dass durch Paragraph 6 des deutschen Tierschutzgesetzes das Entfernen der Tasthaare bei Augen und Maul ebenso verboten ist wie das Rasieren bzw. Abschneiden (Clippen) der Haare in den Ohren von Pferden. Die Einhaltung dieses Verbots wird auf Turnieren in Deutschland von den zuständigen deutschen Behörden überwacht. Teilnehmer können mit Strafen belegt werden, wenn ihre Pferde unrechtmäßig rasiert oder geclippt wurden."

 

Diese ,Erinnerung' ist in der Tat bemerkenswert – denn das Verbot des Clippens besteht in Deutschland bereits seit fast 20 Jahren und basiert auf dem Tierschutzgesetz 1998, in dem es unter § 6 heißt: „Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres." Diese allgemeine Bestimmung – in der das Clippen nicht explizit genannt wird – verlangte natürlich nach einer genaueren Auslegung und Interpretation, und die folgte noch im gleichen Jahr durch ein Merkblatt der ,Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz' (TVT).

 

Detailliert führt Autor Dr. Fikuart darin aus: „Bei den Tasthaaren, den ,Vibrissen', die unter anderem besonders im Kopfbereich vorkommen, handelt es sich um Haare, die in hochempfindlichen, mit einer Vielzahl verschiedener Nervenzellen ausgestatteten Follikeln enden. Sie dienen dem Pferd u. a. dazu, den durch die Augen nicht kontrollierbaren Teil des Kopfes, etwa zur Prüfung des Futters bei der Futteraufnahme, zu nutzen oder die Kopfpartien vor ungewollten, möglicherweise schmerzhaften oder gefährlichen Berührungen zu schützen. Die Haare sind unabdingbarer Bestandteil eines Tastorganes, das bei ihrer Entfernung nicht mehr funktionsfähig ist. Hierzu liegen übereinstimmende wissenschaftliche Arbeiten vor. Durch das Entfernen der Haare wird willentlich eine Verhaltensänderung der Tiere bewirkt, die zu einer unnatürlichen Körperhaltung führt." Dieser Interpretation sind in den folgenden Jahren Ämter, Behörden und auch Gerichte gefolgt – „Clippen" ist in Deutschland bei Pferden verboten und kann entsprechend bestraft werden.

 

… In der Schweiz und Österreich verhält es sich übrigens ähnlich: Das geltende Tierschutzgesetz verbietet jeglichen tiefgreifenden Eingriff in das Erscheinungsbild oder die Fähigkeiten von Tieren sowie jegliche Störung ihrer Körperfunktionen, ihres Verhaltens oder ihrer Anpassungsfähigkeit (§ 3). In der Richtlinie „Pferde richtig halten" des Bundesamts für Veterinärwesen aus dem Jahr 2001 heißt es dann explizit: „Der Tastsinn der Pferde erstreckt sich über den ganzen Körper. Besonders empfindlich ist aber der Kopfbereich. Tasthaare (Vibrissen) um Augen, Nüstern und Maul ermöglichen es den Tieren, Dinge im blinden Winkel der Augen oder im Dunkeln zu ertasten. Das Entfernen (,Clippen') dieser Tasthaare beraubt die Pferde also eines Sinnesorgans. Dies ist aus Gründen des Tierschutzes nicht zu verantworten."

 

Wie aber kann es sein, dass – trotz dieser ausdrücklichen Verbote – immer wieder geclippte Pferde auf deutschen Turnieren oder Zuchtschauen zu sehen sind? Wieso hält sich diese mehr als fragwürdige Praxis so hartnäckig in der Pferdeszene, die doch ansonsten überaus sensibel auf alles reagiert, was dem Pferdewohl tatsächlich oder angeblich zuwiderläuft?

 

Nun, die Antwort auf diese Frage ist tatsächlich nicht ganz einfach zu finden – aber man kann wohl zwei nachvollziehbare Erklärungen ins Treffen führen: 1) dass einige Pferdebesitzer von diesem Clipping-Verbot nichts wissen und ihnen daher auch nicht bewusst ist, gegen ein geltendes Gesetz zu verstoßen; und 2) dass viele Pferdemenschen nur ein geringes ,Problembewusstsein' hinsichtlich des Clippens haben und es möglicherweise als unbedenklichen kosmetischen Eingriff betrachten, der das Pferdewohl nicht oder nur minimal beeinträchtigt.

 

Wesentlich folgenreicher aber ist vermutlich ein dritter Umstand: nämlich die Tatsache, dass Deutschland, Österreich und die Schweiz besonders strenge Tierschutzgesetze erlassen haben, denen die meisten anderen europäischen Länder – jedenfalls in der Frage des Clippens – nicht gefolgt sind. Tatsächlich ist in vielen europäischen Ländern sowie in Nord- und Südamerika das Clippen nicht nur erlaubt, sondern gilt tatsächlich in breiten Kreisen als „Verschönerung" eines Pferdes, das seine ästhetische Wirkung erhöht – und zwar weit über die Gangpferde-, Western- und Vollblutaraber-Szene hinaus. Tatsächlich behandeln viele Pferdeleute in Nordamerika die Tasthaare wie überflüssige Langhaare, die man am besten abrasiert. Schlimmer noch: Bei Turnieren oder Zuchtschauen gibt es sogar Punktabzug, wenn die Tasthaare nicht entfernt worden sind, und vielfach sind nur die „optische Vorstellungen“ der Richter, Reiter oder Pferdebesitzer Anlass für die Entfernung dieser Haare…

 

Für Verunsicherung sorgte auch eine Pilot-Studie aus dem Jahr 2013, die an der Universität Utrecht von Idonea van Bergen durchgeführt wurde. Sie wollte –nachdem das ,Clippen' der Tasthaare bei Pferden in den Niederlanden weit verbreitet ist – herausfinden, ob dies tatsächlich messbare Effekte auf das Verhalten bzw. das Wohl des Pferdes nach sich zieht. Sie führte – nachdem zu dieser Frage weder sonstige Untersuchungen noch standardisierte Tests existieren – eine Reihe unterschiedlicher Tests bei Pferden mit und ohne Tasthaare durch, setzte sie unterschiedlichen Stimuli (Hitze, Kälte, Elektrizität etc.) aus und führte Versuche durch, in denen sich Pferde mit und ohne sowie mit gekürzten Tasthaaren in einem engen Behältnis orientieren mussten. Gemessen wurden dabei etwa, wie oft die Pferde dabei mit der Nase anstießen, ihre Herzschlagrate und ihr sonstiges Verhalten.

 

Überraschenderweise konnte in all diesen Versuchen kein eindeutiger Effekt des ,Clippens' auf die gemessenen Test-Parameter nachgewiesen werden – was von manchen Beobachtern so verstanden wurde, dass die Tasthaare für Pferde womöglich weit weniger Bedeutung hätten als für Nagetiere und Meeres-Säuger. Doch diese Interpretation ist bei genauerer Betrachtung unhaltbar bzw. weit überzogen: Tatsächlich schreibt die Autorin wörtlich, dass „aufgrund der geringen Aussagekraft des Tests keine Schlussfolgerungen aus den Resultaten" gezogen werden können. Die untersuchten Parameter seien „kein nützlicher Maßstab" für die Test-Ergebnisse – auch eine Beurteilung des Verhaltens der Pferde (das auf Video aufgezeichnet worden ist) wurde noch nicht durchgeführt.

 

Abschließend heißt es in entwaffnender Ehrlichkeit: „Um eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage zu erhalten, wie Pferde auf eine Manipulation ihrer Tasthaare reagieren, müsste man jedoch andere Parameter untersuchen." Mit anderen Worten: Die Pilot-Studie beweist weder, dass Tasthaare bei Pferden nutzlos sind – noch beweist sie das Gegenteil.

 

Es ist in der Tat erstaunlich, dass man in dieser Untersuchung nicht einem viel naheliegenderen Gedanken gefolgt ist – nämlich die Funktion der Tasthaare in einem Versuchs-Umfeld zu überprüfen, in dem andere Sinne eingeschränkt oder ihre Funktion nur ungenügend ausfüllen können, etwa in völliger bzw. teilweiser Dunkelheit. Dieser Gedanke ist Autorin Idonea van Bergen am Ende übrigens auch selbst gekommen. In ihrem Schlusswort schlägt sie bezüglich weiterer möglicher Forschungsarbeiten vor: „Ein weiterer Weg zu untersuchen, ob Pferde ihre Tasthaare ähnlich wie Nagetiere oder Meeressäuger einsetzen können, wäre etwa zu überpüfen, wie – gänzlich oder teilweise – blinde Pferde reagieren, wenn ihre Tasthaare entfernt wurden. Eine Entdeckungs-Aufgabe in einer dunklen Umgebung könnte diese Umstände simulieren. Nicht zuletzt wären auch eingehende Verhaltens-Analysen bei Fohlen von Interesse, da gesagt wird, dass neugeborene Fohlen nur eine eingeschränkte Sehkraft besitzen und deshalb ihre besonders reichhaltig ausgeprägten Tasthaare benötigen, um die Zitze der Mutter zu finden."

 

Man könnte es sich freilich auch einfacher machen: Man braucht vielleicht nicht in jeder Frage einen letztgültigen wissenschaftlichen „Beweis", ob ein Sachverhalt besteht oder nicht, denn irgendwann stoßen wissenschaftliche Versuche auch an ethische Grenzen. Jedem wohlwollenden, mit ausreichend Hausverstand ausgestatteten Menschen sollte intuitiv klar sein, dass Mutter Natur nichts ohne Grund und nichts ohne Zweck geschaffen hat – und daher auch die Tasthaare einfach zum Pferd dazugehören und auch dranbleiben sollen…

 

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