Der Traum eines kleinen Mädchens (55) Drucken
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Mittwoch, 10. November 2010 um 14:52

 

 

Die traurige Jahreszeit...

 

Es regnete, alles sah grau aus. Die Erwachsenen sagten, es wäre nun die traurige Jahreszeit. Warum eigentlich, fragte sich Polly in den letzten Tagen dauernd. Ständig jammerten die Erwachsenen über den November. Polly verstand das alles nicht so recht. Denn außer dem schlechten Wetter war doch alles wie immer, die Schule lästig und uncool. Und das einzige, was immer Spaß machte, waren die Nachmittage im Reitstall. Dort war immer etwas los. Immer öfter kamen neue Leute. Polly sah ständig neue Gesichter, die zum Ponyreiten in den Reitstall kamen. Und die Eltern dazu hingen nun immer an der Bande, die Begrenzung der Reitbahn. Aber auch bei den erwachsenen Reitern tat sich einiges. Auch dort tauchten Neue auf. Und neue Pferde.

 

Deswegen begannen auch Bauarbeiten im Reitstall. Herr Lichtenhügel ließ weitere Boxen bauen, um noch mehr Pferde und Ponys aufnehmen zu können. Daher war nachmittags noch ziemlicher Baulärm, wenn die Pony-Stunden schon begonnen hatten. Auch die Erwachsenen lamentierten darüber ständig. Überhaupt,  die Großen schienen dauernd über irgendetwas zu stöhnen. Können die nicht einmal zufrieden sein? Polly fand das alles nur noch blöd.

 

Die Kinder hatten jedoch immer noch viel Freude. Die Ponys schienen sich ebenfalls an nichts zu stören. Sie verhielten sich wie immer. Aber eines hatte sich geändert: Lisa war nicht mehr unbedingt das Lieblingspony von Polly. Dazu hatte Polly in letzter Zeit zu häufig andere Pferdchen reiten müssen. Lisa war so lieb, dass immer die neuen, die Anfänger, sie reiten durften. Polly gehörte wiederum jetzt schon zu den guten Reitern. Sie musste jetzt meist die etwas schwierigeren Ponys reiten, weil sie es besser verstand, sie in der Abteilung zu halten.

 

Und noch etwas hatte sich in letzter Zeit geändert: Petra war wieder gesund. Sie durfte wieder aufs Pferd. Aber sie ritt nicht mehr automatisch an die Tete einer Abteilung, also an die Spitze. Immer häufiger führte mal der, mal ein anderer die Abteilung an. Nur die Neuen, die Anfänger, mussten sich hinten anschließen.

 

Aber es gab auch Dinge, die sich nie zu ändern schienen. Der erste Tisch in der Tränke, gleich links, wenn man vom Stall aus in die Tränke kam, war der Kinder- und Jugendtisch. Hier trafen sich die Kinder nachmittags, wenn sie darauf warteten, mit Reiten dran zu sein. Oder nach der Reitstunde, wenn sie auf das Abholen der Eltern warteten. Sie spielten bereits Skat. Selbst die jüngste unter ihnen, die sechsjährige Marion, konnte mittlerweile alleine spielen. Sie musste immer dann einspringen, wenn den größeren ein dritter „Mann“ fehlte. Nach wie vor kam es regelmäßig, fast täglich, vor, dass die Kinder so laut wurden, dass sich die Erwachsenen beschwerten. Immer wieder wurden die Kinder ermahnt, leiser zu sein. Man drohte ihnen, dass sie nicht mehr die Tränke betreten durften.

Gestern war wieder so ein Tag. Die Tränken-Wirtin, Frau Opitz, rastete gar voll aus. Sie schrie herum. Am liebsten hätten sie die „Plagen“ rausgeschmissen. Doch die gingen freiwillig. Wie auf Kommando hatten sie sich untereinander durch Blicke verständigt, sind von „ihrem“ Tisch aufgestanden und verließen die Tränke. Dann eben nicht! Sollte die Wirtin doch sehen, an wen sie ihre Cola verkaufte!

 

Die Kinder gingen zuerst nach draußen. Dorthin, wo die Fahrräder standen. Es nieselte. Ihre Gesichter wurden nass. Sie verzogen sich in die Sattelkammer. Dort gab es natürlich keine Stühle. Auch keine Strohballen, wie früher. Kurz, nichts zum sich drauf zu setzen. Rumstehen war ungemütlich. So konnte man auch nicht Kartenspielen. Voll Scheiße!!! Außerdem kroch auch noch Kälte in die Knochen.

 

Jetzt stellte sich heraus, dass der November tatsächlich ein mehr als trauriger Monat war. Viel zu kalt, um sich im ungeheizten Stall oder in der kalten  Sattelkammer aufzuhalten. Draußen kam gar nicht in Frage. Wohin nur? Es blieb nur die Tränke. Aber die blöden Alten!   Immer hatten die was zu meckern.

 

Die Jahreszeit und die Kälte wurden nun auch für die Kinder ein Gesprächsthema. Jeder konnte etwas dazu beizutragen. Letztes Jahr war der erste Winter, den sie als Clique zusammen verbrachten. Die Winterzeit war kalt und sehr lang. Oft hatte die Kinder gefroren. So heiß sie aufs Ponyreiten waren, bei der Kälte in der eiskalten Reithalle aufs Pony zu steigen, verlangte schon Überwindung.

 

 

„Zwiebeltaktik“ war das Stichwort. Petra wusste darüber Bescheid. Jetzt gab sie wieder damit an, dass ihr Vater „Urologe“ war. Sie musste den anderen erst mal erklären, was das heißt. „Er ist Arzt. Doktor fürs Pipi-Machen und der Blase“, sagte sie. „Und weil die Blase besonders kälteempfindlich ist, weiß ich genau, was man gegen Erkältung tun kann. Und das ist die Zwiebeltaktik“, sagte sie großspurig. Sie führte heute das große Wort. „Zwiebeltaktik bedeutet, viele Sachen übereinander anziehen“, sagte der kleine Klaus. „Ich bin auch nicht doof“, erwiderte er genauso großspurig zu Petra. „Ja, aber weißt Du auch, warum das mit den vielen Sachen übereinander so gut ist?“, blaffte Petra provozierend zurück. Nun war Stille. Das wusste auch Klaus nicht. Petra setzte ihr blasiertestes Gesicht auf. Sie ahmte ihren Klassenlehrer nach und dozierte wie er: Die „Zwiebeltaktik mit der Kleidung ist bei Kälte deswegen so hilfreich, weil sich zwischen den einzelnen Stoffschichten die Luft durch Körperwärme nach und nach erwärmt. Diese Luftschichten isolieren vor der von außen eindringenden Kälte. Deswegen bleibt der Körper warm. Und nun seit ihr dran....“ In dem Moment hassten die anderen Kinder die Klugscheißerin Petra. Aber wo sie Recht hatte... „Ich bekomme nächste Woche eine neue Winterjacke“, sagte Rolf. „Ich brauche keine Zwiebeln oder so“, fügte er gelassen hinzu. Damit schwand die Anspannung. Damit war das Thema auf einen Schlag durch. Alle plapperten wie gewohnt wieder durcheinander.

 

Aber die Kinder waren nun ziemlich durchgefroren in der Sattelkammer. Es ging auf 18 Uhr zu. Einige waren schon abgeholt worden. Die anderen standen immer noch zusammen. Ihr Aufenthaltsort wurde immer ungemütlicher. Nach und nach kamen nun dauernd Erwachsene rein, um ihr Sattelzeug für die Abendreitstunde zu holen. Das war lästig. Die Pony-Kinder wollten unter sich sein. Denn letzten Endes trugen die Erwachsenen die Schuld daran, dass sie sich in dieser misslichen Lage befanden. Dabei hatten sie doch das gleiche Recht wie die Großen auf ein bisschen Spaß, oder?

 

Wieso kommt Mama denn heute nur so spät?, fragte sich Polly. Sie fror arg. Joachim kam an. Er sollte die Reitstunde für die Erwachsenen übernehmen. Nur durch Zufall bemerkte er das kleine Grüppchen Kinder in der Sattelkammer. Sie erzählten ihm, was heute geschehen war, dass sie quasi aus der Tränke geschmissen worden waren und nun keine „Bleibe“ hatten. „Es bleibt Euch nichts anderes übrig, als Euch zu entschuldigen und zu versprechen, in Zukunft nicht so laut zu sein“, schlug Joachim vor und verschwand in die Reitbahn. Die Kinder berieten. Harald war der Erste,  der sich kompromissbereit zeigte. Er sollte bei den Erwachsenen einlenken. „Gut. Aber Du gehst zu Frau Opitz und schleimst da ein bisschen herum“, sagte Rolf. Keiner von den anderen wollte den Schleimer geben. Nur Harald eben. Und regelte alles wieder. Die anderen fünf Kinder waren froh, dass  sie wieder in die warme Tränke durften. Der November mit Regen draußen und Kälte im alten Gemäuer des Reitstalles – das war wirklich ein mieser Monat. Die Großen hatten vielleicht doch Recht gehabt, fand Polly nun. Die Ponys hatten es besser, mit ihrem langen Fell.

 

Die Kinder durften wieder an ihrem Tisch sitzen, und die „Zwiebeltaktik“ wollten sie im Winter testen. Polly würde das nachher zu Hause erklären...

 

(Fortsetzung folgt....)

 

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