
Marianne Fankhauser-Gossweiler war in der Sportgeschichte der Schweiz 1964 als erste Frau für die Olympischen Spiele nominiert worden. Ihre größten Erfolge holte sie im Sattel des Lipizzaner Schimmels Stephan, den ihr Vater siebenjährig für 1.250 D-Mark in Holstein erworben hatte. Bis dahin ging der Wallach vor einem Wagen zum Milchkannen einsammeln bei den Bauern in der heimatlichen Gegend. In den Annalen Eingang fand die Dressurreiterin bei Olympia mit Team-Silber 1964 in Tokio und Team-Bronze vier Jahre später in Mexiko City, dazu kam Bronze mit der Equipe 1966 in Genf bei der ersten Weltmeisterschaft, außerdem war sie fünfmal Landesmeisterin in der Dressur.
(Foto: privat)
Hergiswil/ CH. Marianne Fankhauser-Gossweiler beschäftigt sich nach nach wie vor intensiv mit der Dressur. Die ehemalige beste Schweizerin in dieser Welt mit Frack, Disziplin und nie endender Lehrzeit war beeindruckt von einem Interview, das die österreichische Pferderevue mit dem deutschen Ausbilder und Reitmeister Martin Plewa führte und veröffentlichte. Marianne Fankhauser-Gossweiler (81) führte dazu ihre eigenen bemerkenswerten Gedanken aus.
Die besten Ausbilder und Reitlehrer in früheren Jahren kamen aus den Kavallerieschulen. So haben diese Kavallerieschulen in Hannover, der EMPFA (Eidgenössische Militärpferdeanstalt) in der Schweiz und auch Schweden damals, in den 50ger und 60ger Jahren, die erfolgreichsten Dressur-Reiter und auch Dressur-Richter hervorgebracht.. Außerdem kamen die besten Springreiter ebenfalls aus der Kavallerieschule Hannover.
Wenn man es selber noch erlebt hat oder Fotos aus dieser Zeit anschaut, fällt der große Unterschied der Reit- und Ausbildungsweise von Reiter und Pferd aus diesen drei Ländern im Gegensatz zu den übrigen auf. Dabei hatten, was nichts Neues ist, die damaligen Pferde lange nicht die Klasse der heutigen, die ganz anders gezogen sind.
Den einheitlichen Schulungen durch hervorragende Lehrer in diesen Kavallerieschulen und deren Erkenntnisse und Grundsätzen, auch dokumentiert in vielen Fachbüchern, hat die heutige Reiterei zu verdanken, was man weiß und beherzigen sollte. Von meinem Reitlehrer Karl Becker, viele Jahre Ausbilder an der Kavallerieschule Hannover, erhielt ich dessen Reitvorschrift H.dv.12 aus dem Jahre 1912, Ausgabe 1936, geschenkt, und es ist unglaublich, was man sich damals für Gedanken rund um die Ausbildungs-Grundsätze von Reiter und Pferd gemacht hat, übrigens auch in der Pferde-Haltung. Aus diesen Grundsätzen resultieren die Richtlinien, nach denen Reiter und Pferde ausgebildet werden sollten und nach denen gerichtet werden müsste.
Natürlich ist die Reitvorschrift von 1926 anders, inhaltlich umfassender aber gerade deswegen in meinen Augen wertvoller als die Nachfolgenden welche im Laufe der Zeit gekürzt, auseinandergenommen, abgeändert und Wichtiges herausgenommen wurde.
Es hat sich in den Jahren vieles verändert, auch in der Reiterei, Stillstand wäre Rückschritt. Aber in der letzten Zeit, und damit komme ich zum eigentlichen Punkt meiner Ausführungen, hört und liest man immer wieder von Bestrebungen dahingehend, dass die Kandare "abgeschafft" werden müsste oder sollte. Oder, dass die Reiter beliebig selber wählen können womit sie im Viereck erscheinen möchten.
Eines ist sicher : Trensen- und Kandarenzäumung haben eine ganz andere Wirkung. Auf Kandare sein Pferd entsprechend reiten zu können, heisst auch zu zeigen und zu beweisen, dass man die Reitkunst, auch in allen Gängen der hohen Schule, beherrscht.
Weil Trense und Kandare ganz verschieden auf Maul, Genick und somit auf das ganze Pferd wirken, kann man nicht die Reiter wie im Wunschkonzert oder Gemischtwarenladen aussuchen lassen, mit welchem Gebiss sie ihr Pferd in einem Grand Prix reiten möchten. Das gibt auch keine richtige Beurteilung durch die Richter.
In einem Grand Prix muss der Reiter wie auch das Pferd "Kandarenreif" sein. So nannte man das früher, und man war stolz, wenn man es nach langer "Durststrecke" geschafft hatte und imstande war, sein Pferd ohne großen Aufwand, mit feinen Hilfen, auf die das Pferd gehorsam und aufmerksam reagierte, in allen Gängen der hohen Schule korrekt und gefällig vorzustellen.
Es kommt der Gedanke auf, dass die angestrebte Trensenreiterei in einem Grand Prix den Bemühungen nahekommt zu beweisen, dass die "feine Reiterei" gefördert, verbreitet und gezeigt werden soll. Das ist jedoch der ganz falsche Weg und führt zu gar nichts. Höchstens dazu, dass noch mehr verloren geht von den Grundsätzen und Richtlinien, über die doch immer wieder so großartig geredet wird. Umgekehrt wird ein Schuh (in diesem Falle ein Huf) daraus: Gerade das Reiten mit Kandare sollte ud müsste das "feine Reiten" demonstrieren....
Die Prinzipien "vom Leichteren zum Schwereren und dann zum ganz Schweren" müssen auch hier gelten, und das Schwierigste für den Reiter ist und bleibt, das Pferd korrekt durch die schwierigen Lektionen zu führen und zwar auf Kandare.
Reitern, die sich damit brüsten, dass ihr Pferd im Grand Prix auf Trense besser gehe als auf Kandare, muss mit "grosser Vorsicht" begegnet werden, denn da ist weder der Reiter noch das Pferd kandarenreif.
Grundsatz heißt: "zu Grunde liegend", und wenn der Grund aufgeweicht wird, kommt alles ins Schwimmen. Man kann natürlich den einen Grand Prix "auf Trense geritten" und einen andern "auf Kandare geritten" ausschreiben, doch das wäre Unfug. Unfug wäre es zudem, wenn die einen in derselben Prüfung mit Kandare und die andern mit Trense ihr Pferd durchs Viereck steuern dürften, denn das lässt sich, wie gesagt, von den Richtern nicht korrekt und richtig beurteilen. Es gäbe höchstens Anlass zu unerwünschten und unnötigen Diskussionen, und es wäre kein einziger Schritt nach vorne. Gewisse Grundsätze und Erkenntnisse sollten, nicht nur bei der Reiterei, erhalten und nicht über Bord geworfen werden.
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Und hier das aussagestarke Interview mit Martin Plewa (75) in Pferderevue.At, FRragestellerin Eva Schweiger
Zur Person: Martin Plewa (75), Lehrer von Beruf, ließ sich 1985 als Studienrat beurlauben und wurde Bundestrainer der deutschen Vielseitigkeitsreiter (Ende 2000), Er selbst startete erfolgreich in dieser Sparte aus Dressur, Springen und Gelände auf höchstem Niveau, er schrieb Fachbücher, drehte Lehrfilme über die Vielseitigkeit und ist nach wie vor gefragt als Lehrgangsleiter. Zu seinen Lehrmeistern in allen drei olympischen Disziplinen zählten Max Habel, Hans-Heinrich Brinckmann und Paul Stecken. 2006 wurde er mit dem Ehrentitel „Reitmeister“ bedacht.
Beginnen wir ganz grundsätzlich bei der Ausbildung des Pferdes: Welche sind Ihre absolut zentralen Punkte, über die gar nichts geht? Martin Plewa: „Ich denke, wir haben eine sehr gute Reitlehre. Das Wichtigste für mich ist immer, dass wir uns in der Ausbildung nach dem Pferd richten. Dazu muss ich wissen: Wie bewegt sich ein Pferd, wie lernt es? Ich muss die Ausbildung dem Reifegrad, dem Alter und später auch dem Ausbildungsstand des Pferdes anpassen. Das Pferd muss das, was der Reiter von ihm will, leicht verstehen. Ich muss also alles logisch aufbauen und bestimmte Prinzipien berücksichtigen: vom Leichteren zum Schwereren und vom Bekannten zum Unbekannten beispielsweise. Das sind Kriterien, die sicherstellen, dass das Pferd sich nie überfordert fühlt. Abgesehen davon muss ich die Reaktionen des Pferdes im Blick haben, ich muss ein Gefühl dafür haben, wie mein Pferd mich mit meinen Hilfen versteht. Was mache ich eventuell verkehrt, wenn das Pferd nicht so reagiert, wie ich das möchte? Es ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, dass ich immer ins Pferd hineinhorche und immer auch den Gang der Ausbildung ein bisschen vom Pferd mitbestimmen lasse. Natürlich hat man ein gewisses System, aber jedes Pferd reagiert ein wenig anders.
Und man muss sich ausreichend Zeit lassen und eine gewisse Gelassenheit haben. Es gab mal einen großen Hippologen im 19. Jahrhundert, Gustav Steinbrecht, der hat gesagt, man solle ‚reiten in wohlwollender Gemütlichkeit‘. Das drückt sehr schön aus, dass man dem Pferd gegenüber immer sehr positiv eingestellt ist, mit positiver Stimmung herangeht, losgelassen und nicht emotional, und dabei immer sehr konsequent bleibt.“
Sind die Reiter heute in puncto Gelassenheit, Konsequenz und Gefühl fürs Pferd anders als früher? M.P.: „Ja, ich glaube, da hat sich etwas verändert. Meine Generation hat bei Leuten Unterricht gehabt, die alle aus dem militärischen Bereich kamen. Das waren alles Kavalleristen nach dem Krieg, die unterrichtet haben, und die alles sehr stark vorgegeben haben. Man hat als Schüler natürlich gerne eingehalten, was auch funktioniert hat. Heute ist es so, dass man als Ausbilder versucht, sich ein bisschen mehr auf die Reiter einzustellen. Manche Reiter realisieren allerdings nicht, dass sie eigentlich von Sitz und Einwirkung noch nicht ganz so weit sind. Diese Reiter sollten selbst noch etwas mehr Ausbildung genießen, damit sie nachher ihrem Pferd auch in der Ausbildung gerecht werden können und nicht ungerecht werden. Ich sehe häufig, dass die Ausbildung vermehrt am Pferd gemacht wird, aber die Ausbildung des Reiters – Sitzkorrekturen oder so weiter – manchmal nicht ausreichend ist. Tendenziell nimmt man heute ein bisschen mehr Rücksicht auf die Reiter als aufs Pferd. Und das führt manchmal dazu, dass die Reiter eine falsche Grundeinstellung kriegen, und dann, wenn irgendetwas nicht klappt, dem Pferd die Schuld geben. Aber das akzeptiere ich im Unterricht überhaupt nicht. Wenn irgendetwas nicht klappt, muss ich mich selbst hinterfragen.“
Es gibt ja schon viele Tendenzen, die Reitlehre auch didaktisch besser aufzubereiten. Sehen Sie das als sinnvoll an? M.P.: „Ja, das macht totalen Sinn, dass man sich selbst mit seinem Bewegungsgefühl befasst und mit seinen sonstigen, vielleicht körperlichen Schwächen und Mängeln – mit Losgelassenheit, Elastizität und so weiter. Aber entscheidend ist für mich immer das reiterliche Gefühl. Reiten ist ja eine koordinative Sportart, und Koordination setzt Beweglichkeit voraus und auf der anderen Seite auch ein gutes Bewegungsgefühl.“
Wie war denn das früher, wurde in der militärischen Reitausbildung viel am Körpergefühl des Reiters gearbeitet? M.P.: „Ja, auf jeden Fall. Vor allen Dingen wurde immer auf eine sehr feine Hand Wert gelegt. Einer meiner Ausbilder hat mal gesagt: ‚Das Pferdemaul ist ein Heiligtum.‘ Wir haben früher alles ohne Ausbinder gemacht. Man hat sich für den Schritt, das Pferd in Anlehnung zu bringen, unwahrscheinlich viel Zeit gelassen. Bei den ersten Prüfungen, bei uns hieß das Jugendreiterprüfung, gingen die Pferde alle ohne Ausbinder. Ich hab’ meine erste Prüfung mit sieben Jahren geritten, mit Pferdewechsel und allem – das war total normal. Und wehe, einer hat hin und her gezogen, dann kriegte man einen auf die Finger. Zuallererst kam immer das Zusammenwirken der Hilfen, du musstest das Pferd an die Hilfen stellen können, dann konntest du reiten, du musstest korrekt Zügel aus der Hand kauen lassen können. Das haben wir wirklich extrem geübt, und es hat zum Verständnis des korrekten Reitens von hinten nach vorne unwahrscheinlich viel beigetragen. Selbst wenn wir es als Kinder noch gar nicht so richtig verstanden haben, aber alleine diese Übungsfolge hat mehr oder weniger automatisch gebracht, dass man nachher jedes Pferd korrekt reiten konnte.“
Momentan gibt es ja ganz massive Diskussionen und viel Kritik, gerade zur Dressur. Haben wir in Ihren Augen noch eine Rechtfertigung, diesen Sport zu betreiben?
M.P.; „Natürlich haben wir die. Wenn wir korrekt reiten, dann haben wir sie, weil unsere Reitlehre sich an der Natur orientiert. Es sind nur Fehlentwicklungen eingetreten, und diesen Fehlentwicklungen wurde nicht rechtzeitig begegnet. Das muss man ganz klar sagen, auch bei uns national in Deutschland nicht, aber wenn international falsches Reiten honoriert wird, darf man sich nicht wundern, wenn die Reiter versuchen, das umzusetzen. Ich verfolge den Sport ja schon über Jahrzehnte, auch international, bei Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen, etc. Da konnte man sehr schön sehen: Irgendwann kam ein Zeitpunkt, an dem die Pferde extrem überzäumt wurden. Und mit dieser Überzäumung wurden Pferde dann Olympiasieger.“
Wann hat das Ihrer Meinung nach ungefähr begonnen? M.P.: „2000 in Sydney hat ein Pferd gewonnen, das wenig losgelassen ging, sehr eng eingestellt, aber er hat die Beine hochgerissen – alles nicht korrekt. Und dann kam Totilas, wo die extreme Mechanik der Vorhand, die als spektakulär bezeichnet wurde, praktisch zur Mode wurde. Alle Pferde, die so gingen, wurden honoriert. Und wir wissen, dass man für diese Art der Mechanik künstlich Spannung provozieren kann. Wie bei einem Hengst im Imponiergehabe: Der reißt die Beine hoch, aber er geht nicht losgelassen. Das heißt also, es gab durch diese richterliche Sicht und Honorierung eines Bewegungsablaufs in Spannung eine völlige Umorientierung und Wegorientierung von der eigentlichen Reitlehre. Alle haben applaudiert, egal wie gespannt die Pferde waren, sie haben die Beine geschmissen und jeder hat gedacht: ‚Oh, das will ich auch, damit krieg’ ich die Medaillen, und das ist fürs Publikum gut.‘ Und weil man so etwas mit falschen Methoden, zum Teil auch mit nicht tiergerechten Methoden, produzieren kann, sind dann auch diese schrecklichen tierquälerischen Vorgänge publik geworden.“
Haben Sie das Gefühl, dass es damals eine bewusste Entscheidung war, dieses Spektakuläre zu honorieren? Oder hat sich das einfach eingeschlichen? M.P.: „Ich glaube es war eine bewusste Entscheidung, weil auch das Nicht-Fachpublikum es gut fand. Ich bin groß geworden direkt an der holländischen Grenze. Wir sind früher mit den Pferden sehr viel in Holland auf dem Turnier gewesen und da gab es die Tuigpaarden. Die gehen in absoluter Aufrichtung mit weggedrücktem Rücken, Schweif hoch, und schmeißen unwahrscheinlich die Beine, und die werden heute noch bejubelt und auch immer noch in Holland gezüchtet. Das heißt also, der Laie scheint eine gewisse Vorliebe dafür zu haben, wenn das Pferd spektakulär die Beine schmeißt. Solange das Pferd das von Natur aus losgelassen macht, ist es vielleicht genetisch verankert wie beim Hackney. Aber wenn ich es durch falsche Einwirkung, durch extremes Verspannen des Pferdes, herbeiführe, dann ist das nicht für das Pferd – und das ist ja die Krux heute. Dadurch kommt es auch, dass vorne mit der Kandare sehr stark gegengehalten wird. So kommen Maulprobleme zustande und so weiter, das ist alles fachlich sehr leicht nachvollziehbar. Nur wenn die Richter es immer noch übersehen und es nicht wichtig finden, ob das Pferd Schmerzen hat oder sich nicht wohlfühlt, Hauptsache die Lektionen sind spektakulär – dann werden wir keine Besserung hinkriegen.
Das Bewusstsein ist ja jetzt vorhanden, dass etwas falsch läuft. Ist es so schwer, das Ruder wieder herumzureißen? M.P.: „Das geht eigentlich nur, wenn man wirklich ganz massiv dagegen angeht. Ich bin jetzt international nicht mehr tätig, aber ich habe das Gefühl, dass die Arbeitsgruppe Dressur des Weltverbandes FEI, es sehr schön auf den Punkt gebracht hat, dass man unbedingt etwas tun muss. Ich engagiere mich im Moment national ein bisschen, bin beim Verein Xenophon aktiv, und wir sind letztes Jahr auf die FN zugegangen und haben ganz klar gesagt: Man muss sich mit der Deutschen Richtervereinigung – die muss auch mitziehen – und mit dem Deutschen Reiter- und Fahrerverband zusammensetzen und das Ruder herumreißen. Das ist super angelaufen, noch nicht gut genug, aber wir setzen das jetzt dieses Jahr fort. Also national versuchen wir wirklich, den Fehlentwicklungen zu begegnen. So etwas kann ja sonst auch auf die anderen Disziplinen zurückschlagen.“
Inwiefern könnten andere Disziplinen von den Entscheidungen zur Dressur betroffen sein? M.P.: „Beispielsweise beim Thema Kandare: Wenn wir den Gebrauch der Kandare in der Dressur infrage stellen, was machen dann die Fahrer? Die fahren fast ausschließlich auf Kandare. Oder was machen wir mit den Gebissen im Springsport? Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, dass wir mit einem Verbot der Kandare einen ganz gefährlichen Weg gehen würden. Irgendwann sagen die Leute dann, wir müssen auch die Trense verbieten, denn auch die Trense benutzen manche falsch. Und dann sind wir ganz raus aus unserer Reitlehre. Ich bin sehr dafür, dass wir falsches Reiten und damit auch Missbrauch richterlich richtig ahnden. Man konnte noch bis vor 25, 30 Jahren die Pferde korrekt in Anlehnung reiten, und da hat keiner sich um die Kandare gekümmert, weil alles ordentlich aussah. Und wenn jetzt Leute etwas falsch machen, weil sie damit gespannte, spektakuläre Bewegungsabläufe produzieren wollen, dann muss man einfach dagegenhalten und sagen: ‚Nein, liebe Richter, da seid ihr am Drücker.‘ Es ist ja klar, dass die Reiter die Pferde so präsentieren, wenn die Richter genau das honorieren.“
Das heißt, Sie sind nicht dafür, dass die Kandare optional wird? Sie soll obligatorisch bleiben? M.P: „Das muss nicht sein, ich will aber eine einheitliche Zäumung. Wir können z. B. den Grand Prix auf Trense reiten, keine Frage. Aber mit der Wahlfreiheit – die gibt’s ja in der Vielseitigkeit – habe ich negative Erfahrungen gemacht. Trensengebisse haben eine andere Wirkung als Kandarengebisse, und ich kann eine korrekte Anlehnung nicht einmal auf Trense und einmal auf Kandare beurteilen. Ein Pferd muss kandarenreif sein, der Reiter muss kandarenreif sein, dann kann er richtig mit der Kandare umgehen, und dann kann ich auch die Zäumung auf Kandare oder das Reiten auf Kandare richtig beurteilen. Ich bin durchaus dafür, dass man die Kandare im gehobenen Dressursport hält, aber das muss ja nicht heißen, dass wir nicht viele S-Dressuren o. Ä. auf Trense anbieten können. Aber die Kandare per se infrage zu stellen, halte ich für extrem falsch, und die Wahlfreiheit halte ich für völligen Unsinn. Auch die Argumente, die da gebracht werden, sind an den Haaren herbeigezogen! Z. B. dass ein Pferd auf Trense besser geht als auf Kandare, weil es eine dicke Zunge hätte – die Zunge ist immer so dick wie das Pferdemaul, sie füllt immer die ganze Maulhöhle aus. Oder: Die Pferde hätten heute ein kleineres Maul, da hätte die Kandare keinen Platz. Kronos war 1936 Olympiasieger, das war ein kleiner Trakehner mit einem kleinen Köpfchen, und der ging super mit einem Kandarengebiss, das damals deutlich dicker war als die heute gebräuchlichen. Damals gingen auch viele Vollblüter in der Dressur, heute sind es im Wesentlichen Warmblüter. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Mäuler aller Reitpferderassen in etwa gleich groß sind. Also da ist kein Unterschied, und trotzdem wird solcher Unsinn erzählt. Das ärgert mich ein bisschen, dass selbst vermeintliche Fachleute sich von sowas übertölpeln lassen.“
Es heißt ja auch oft, dass die Pferde heute so leicht wären im Genick, fast instabil sozusagen, dass sie gar keine Kandare bräuchten. M.P.; „Warum knallen die Reiter die Kandare dann so an, wenn die Pferde leicht sind im Genick? Das ist doch Unsinn. Die Pferde früher gingen ja nicht deshalb korrekt, weil sie fest im Genick waren. Sie gingen einfach korrekt. Das kann ich mit den heutigen Pferden genauso machen, ich kann ein Pferd korrekt vorstellen. Die Pferde heute haben tolle Hälse und ein leichtes Genick, das ist keine Frage – trotzdem kann ich sie korrekt reiten! Ich habe auf einem Arbeitspferd reiten gelernt, einem Warmblüter, der noch in der Landwirtschaft ging. Der hatte tatsächlich ein schlechteres Genick, aber der ging trotzdem korrekt durchs Genick, hundertprozentig. Wenn wir damals ein Pferd eng gemacht hätten, dann hätten wir einen auf die Mütze gekriegt. Und heute werden viele die angeblich im Genick so feinen Pferde mit den tollen Hälsen runtergeriegelt. Diese Argumentationen sind fachlich völlig unsinnig.“
Hat das enge Reiten nicht auch mit dem Nervenkostüm der Pferde zu tun? Stellt man die Pferde so eng ein, weil sie sonst überall sind mit ihrer Aufmerksamkeit außer beim Reiter? M.P.: „Genau, aber das ist kontraproduktiv. Ein Pferd kann oberhalb seiner Augen nichts sehen. Wenn ein Pferd guckig ist, muss ich es erst mal gucken lassen, bis es den Hals fallen lässt, dann ist es mit seiner Umgebung im Reinen. Und dann kann ich reiten. Aber ein Pferd eng zu machen, macht es erst recht skeptisch. Das ist eine Zwangshaltung, und die bedeutet für ein Pferd ist immer psychischen Stress. Dann wird es erst recht versuchen, jede Möglichkeit zu nutzen, sich irgendwie freizumachen, sich zu entziehen. So zu reiten ist für mich Dummheit. Und es wird Angst übertragen aufs Pferd, es wird auch vermenschlicht: Wenn ich einen unsicheren Menschen habe, muss ich den mal an die Kandare nehmen – das sagt man ja sogar so. Und dann meint man, das könne man auf das Pferd übertragen. So ein Unsinn!“
Das heißt, das Pferd muss erst einmal auch mental in eine Balance finden, damit es überhaupt mitarbeiten kann, ohne dass man es vorne festhalten muss. M.P.: „Ja, es hat ja auch keine Chance, sich auszubalancieren. Stellen Sie sich vor, Sie müssten körperlich schuften und man würde Sie zwingen, das alles außerhalb Ihrer natürlichen Balance zu machen. Da würden sie verrückt und psychisch krank werden. Und das ist das, was wir mit den Pferden anstellen.“
Sie sagten einmal, dass Ziel müsse sein, dass ein Pferd mit einer Hand geritten werden kann. Gilt das für Sie ab einer bestimmten Klasse? M.P.: „Nein, das gilt allgemein. Für mich ist das eine Kontrolle. Das Pferd soll an die Hand herantreten, das tut es aber nicht und kann es auch gar nicht, wenn die Hand immer irgendwo ist und falsch einwirkt. Wenn Sie ein junges Pferd ausbilden und es hat die Anlehnung verstanden, dann müssen Sie mit ganz ruhiger Hand – und eine Hand ist ruhiger als zwei Hände – mit beiden Zügeln in einer Hand korrekt in Anlehnung reiten können. Und wenn's nur außen rum ist, Schritt, Trab, Galopp. Meine Reitschüler zuhause wissen: Irgendwann sage ich ‚Jetzt beide Zügel in eine Hand‘, und dann kontrollieren wir, ob die Anlehnung korrekt aus treibenden Hilfen an die ruhige Hand heran erritten ist.“
Dann wäre die Kandaren-Diskussion vielleicht auch hinfällig, wenn man in jede Prüfung einmal Schritt, Trab, Galopp außen herum einhändig geritten einbauen würde … M.P.: „Absolut. Früher in unseren deutschen Aufgaben war das so. Zu meiner Zeit musste man ab L mit einer Hand reiten können, ob auf Trense oder Kandare spielte gar keine Rolle. Aber irgendwann, eigentlich weil die Reiter dagegen waren, wurde das abgeschafft, man hat sich dem Druck der Reiter ergeben. Das ist meiner Meinung nach falsch gewesen.“
Genauso wie diese Überlegung, die Grußaufstellung abzuschaffen? M.P.: „Die erste Grußaufstellung ist in einigen Aufgaben in der Vielseitigkeits-Dressur ja entfallen, aus Zeitgründen. Aber wenigstens eine Grußaufstellung muss sein. National sind wir in Deutschland trotzdem dagegen, wir möchten, dass erstmals gezeigt wird, ob das Pferd beim Einreiten eingerahmt ist, gerade, im Gleichgewicht. Lässt es auch unabhängig von der Bande eine ganze Parade zu? Also wir sind ganz strikt für die erste Grußaufstellung und für die letzte auch.“
Zum Abschluss: Welche Reiterfehler sehen Sie beim Unterrichten am häufigsten? M.P.: „Einmal, dass viele Reiter beim Lösen die Pferde eigentlich nur abtraben, abgaloppieren, also müde reiten wollen, statt sie sinngemäß zu gymnastizieren durch lösende Übungen. Das Zweite ist, dass viele Reiter die Pausen vergessen, die Pferde ständig in Haltung reiten, und die Pferde werden immer müder und immer schlechter. Drittens: Die feine Abstimmung der Hilfen. Es wird viel mit Hand geritten, und häufig auch nicht fein genug aus dem Schenkel, sondern die Reiter benutzen dann gleich die Sporen. Und, wie schon gesagt, dass sehr häufig die Schuld aufs Pferd geschoben wird, wenn irgendetwas nicht funktioniert.“
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