Anekdoten aus dem Reitsport vergangener Jahre, die nicht irgendwo groß gedruckt waren... |
Geschrieben von: Dieter Ludwig |
Dienstag, 31. Januar 2023 um 17:37 |
Wassenberg. Am Anfang stand die Idee, aber die war natürlich nicht neu. Irgendwann vor Jahren kam ein Anruf aus gut gelaunter Runde im Hause Ulli Kasselmann. Am Telefon sagte einer, vieles aus der Vergangenheit im Reitsport sollte doch aufgeschrieben werden, damit es nicht in Vergessenheit gerät. Mich hatte die Runde ausgeguckt. Es sollte ein kleines Buch werden mit Anekdoten aus der Reiterei, was bisher nicht groß publiziert wurde, es sollte passieren, ehe sich noch mehr der Größen und jener, die sich so gut erinnern können, für immer verabschieden. Dann kam Corona – und es blieb bei der Idee. Hier nun ein kleiner Anfang, woran man sich vielleicht erinnern sollte auch später. Die noch etwas zu erzählen haben, werden plötzlich immer schneller weniger... Deutsches Ost-West-Problem Ab 1967 war auch die sportliche Welt der DDR in Ordnung. Der Arbeiter- und Bauernstaat durfte ab diesem Jahr endlich mit eigenen Teams bei Wettkämpfen antreten, unter dem Emblem von Hammer und Zirkel und natürlich unter der eigenen Hymne, von Johannes Becher („Auferstanden aus Ruinen...“). Im gleichen Jahr wurde auch der Deutsche Pferdesport-Verband der DDR als selbständige Föderation bei der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) als vollwertiges Mitglied anerkannt. Die vorletzte Ausscheidung zwischen Ost und West fand im Springen vor den Olympischen Spielen 1960 in Rom statt. Die Nationalen Olympischen Komitees der Bundesrepublik und der DDR hatten sich auf eine gemeinsame Equipe geeinigt. Fritz Thiedemann und Hans Günter Winkler wurden auf Beschluss beider Nationaler Olympischer Komitees (NOK) gesetzt, zur Ermittlung des dritten Starters vereinbarten die beiden Föderationen Ausscheidungen in Elmshorn und in Halle/ Saale. Printmedien waren zugelassen, Zuschauer auch, aber keine Rundfunk- und TV-Reporter. Jede Seite durfte drei Reiter benennen. In Elmshorn und in Halle gewinnt Alwin Schockemöhle mit insgesamt 14,25 Fehlerpunkten vor Hermann Schridde (24,75) und dem DDR-Reiter Manfred Nietzschmann (28). Damit war nach der Abmachung Alwin Schockemöhle der dritte Olympia-Reiter. Doch mit allen nur möglichen Tricks versuchen die Polit-Funktinonäre der Sektion Pferdesport der DDR das Ergebnis in Halle zu kippen. Die Jury lässt über Lautsprecher den 10.000 Zuschauern verkünden, das Verrücken einer Stange in der Dreifachen Kombination von Fee unter Hermann Schridde wäre ein Fehler gewesen, das Ergebnis müsse auf 16,25 Strafpunkte erhöht werden. Erst als auch die Besucher pfiffen und protestierten, wurde das internationale Reglement angewandt, wonach das Verrutschen einer Stange in einer Auflage noch kein Fehler bedeutet. Aber die Politruks gaben sich nicht geschlagen. Jetzt pickten sie sich Alwin Schockemöhle heraus. Was zunächst abgesprochen war, nämlich nicht das Pferd, sondern den Reiter zu bewerten, sollte keine Gültigkeit mehr haben. Schockemöhle hatte auf Bachus in Elmshorn gesiegt, war aber in Halle gestürzt. Die Ost-Funktionäre, im Auslegen von Paragraphen immer schon gewitzter als die Kollegen aus der Bundesrepublik, erreichten die Annullierung der Ausscheidungen und einen dritten Qualifikationswettkampf, alles begann bei Null. In Bochum siegte Alwin Schockemöhle auf Ferdl mit 9,75 Fehlerpunkten vor Nietzschmann auf Seegeist (11), Hermann Schridde gab auf Flagrant auf. Schockemöhle wird für Olympia in Rom nominiert und gewinnt mit Winkler und Thiedemann Gold, Nietzschmann war als Ersatzmann dabei. DDR-Dressurreiter erregten Aufsehen Wenige Wochen vor den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko erregte das DDR-Trio Horst Köhler auf Neuschnee, Gerhard Brockmüller auf Tristan und Wolfgang Müller auf Marios ein gewisses Aufsehen, weil die UdSSR-Auswahl in Leipzig bei einem CDI geschlagen wurde. Die drei Armeereiter wurden bei Olympia Vierter und reisten deshalb selbstbewusst zur Europameisterschaft ein Jahr später nach Wolfsburg, „zusammen mit den Pferden im Zug“, wie Wolfgang Müller erzählt. Doch ehe Horst Köhler in den Westen durfte, hatte er noch ganz andere Hindernisse zu überwinden. Der damalige Berliner Rundfunk-Sender „Rias“ hatte nämlich verbreitet, er habe sich in Mexiko von der Mannschaft abgesetzt, das wäre Republikflucht gewesen. Köhler: „Ich habe nie herausbekommen, wer die Falschmeldung in die Welt gesetzt hatte.“ Erstmals kam also nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1969 eine offizielle DDR-Mannschaft in die Bundesrepublik. Bei der Ankunft in Wolfsburg kam es zu den ersten Komplikationen, weil nämlich zunächst der nicht vorgesehene Funktionär die Begrüßungsblumen in Empfang nahm, und auch zugesteckte Kuverts mit pekuniärem Inhalt mussten abgegeben werden, „dafür erhielten wir später andere, da war noch mehr drin“, wie sich Wolfgang Müller erinnerte. Und er traf in einer fast abenteuerlichen Geheimaktion auch seine Mutter für ein Plauderstündchen, die längst im Westen lebte. Hinter der BRD/ West-Berlin, so der offizielle Sprachgebrauch der DDR, holten Wolfgang Müller, Horst Köhler und Gerhard Brockmüller die Silbermedaille der Europameisterschaft. Nach heutigen Anforderungen leisteten die drei Reiter der Nationalen Volksarmee, stationiert in Potsdam, schier Unglaubliches. Sie hatten gerade mal vier Pferde auf Grand Prix-Niveau, keinen Trainer, keine Kontakte zu den westlichen großen Dressurreitern, „und auch die UdSSR-Kollegen halfen nicht“, so Wolfgang Müller. Sie halfen sich gegenseitig, lernten vor allem im Zirkus, wie die Pferde auf Piaffe, Passage und Einerwechsel geschult wurden, „und wir hielten unglaublich zusammen“, so Müller, der 1999 von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung den Ehrentitel „Reitmeister“ verliehen erhielt und am 30. Dezember 2021 starb. Er sagte auch, er sei gerne Soldat gewesen, „es hat uns ja an nichts gefehlt, vor allem: Wir konnten reiten. Das war doch das Wichtigste.“ Er erinnerte sich aber auch noch daran, „dass Liselott Linsenhoff oft sagte: Kommt zu mir, wie trinken einen...“ Die damals allgemein üblichen verordneten Aufpasser hatte Ehemann Fritz Linsenhoff jeweils abgefangen. Reiner Klimke oder das Märchen von Biotop Vier Jahre nach Kriegsende ritt Reiner Klimke als 13-jähriger bereits seine ersten Turniere. Albert Stecken, später Vorsitzender des Dressurausschusses, und dessen Bruder Paul, zwei große Pferdemänner, formten ihn. In Warendorf wurde der große Hippologe Dr. Gustav Rau auf ihn aufmerksam. Der holte ihn an das Deutsche Olympiadekomitee für Reiterei (DOKR). Zwischen 1953 und 1955 pendelte der Pennäler Klimke zwischen Münster und Warendorf, „entweder mit dem Zug, mit dem Fahrrad hin und zurück an die 50 Kilometer, oder später mit einem Moped.“ 1955 war Reiner Klimke der erste deutsche Dressurreiter, der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder im Ausland ritt, in Thun in der Schweiz. Auf Aar wurde er Sieger in der Intermediaire-Konkurrenz und Zweiter im Grand Prix. Am 29. Mai 1988 schockte der Ehrenbürger von Münster die Dressurwelt. Zunächst erritt er auf dem bereits 17 Jahre alten Ahlerich im Grand Prix des Turniers in Riesenbeck beim Bauernführer Constantin Freiherr von Heereman-Zuydtwyck bisher nie erzielte 1512 Punkte in einer solchen Prüfung, dann stieg Reiner Klimke vom Pferd und sagte:: „Ali will ich Olympia nicht mehr antun.“ Und weiter sagte er: „Ali gehört zur Familie, die Strapazen im Vorfeld und dann bei den Olympischen Spielen, das alles hat das Pferd nicht verdient.“ Olympia war gestrichen. Sohn Rolf listete die Leistungen des Westfalen Ahlerich auf und ließ bereits die Abschieds-Blätter verteilen. Am Schluss der Din A 4-Seite stand: „Letztes Turnier am kommenden Wochenende in Münster, Verabschiedung.“ Reiner Klimke durchlitt nach Riesenbeck schlimme Momente, für die Olympischen Spiele war er bereits ausgemustert, und er sagte: „Die sich als Freunde ausgeben, rufen nicht einmal mehr an.“ Doch einer wie er ließt sich nicht aus dem Viereck verscheuchen, nicht ausgerechnet dort, wo er geherrscht hatte wie er wollte. Deutsche Meisterschaft in Verden am 13./ 14. August 1988. Der Alte tauchte wieder auf, der längst Totgesagte. Noch besser als in Riesenbeck, noch zehn Punkte mehr im Grand Prix. In einem VIP-Zelt am Viereck tobte aus dem Taunus der Unternehmer und Vater von Sven Rothenberger in Richtung Ausschussvorsitzenden Anton Fischer und die Richter: „Verbrecher und Betrüger.“ Er behauptete zudem, das Richtergremium sei manipuliert worden. Das alles focht Reiner Klimke nicht mehr an. Zum zehnten Mal wurde er Deutscher Meister, auf Ahlerich, der als Auslaufmodell galt. Wenige Wochen später in Seoul trug Reiner Klimke bei der Eröffnungsfeier im Olympiastadion von Seoul die deutsche Fahne, „das war mein großer Wunsch, nachdem ich 1984 in Los Angeles durch Losentscheid gegen den Segler Willi Kuhweide verloren hatte“, und mit Ahlerich holte er im Team zusammen mit Nicole Uphoff auf Rembrandt, Ann Kathrin Linsenhoff auf Courage und Monica Theodorescu auf Ganimedes seine insgesamt sechste Olympische Goldmedaille. Reiner Klimke trat mehrmals vom großen Sport zurück, dass sein früherer Schüler Joehann Hinnemann mal unkte: "Reiner, Du kannst gar nicht aufhören, Du hast ja immer wieder ein großes Pferd..." Erstmals wollte er 1991 absatteln, dann aber meinte er jeweils, wäre alles nicht so gemeint gewesen, er wolle nur der Jugend nicht mehr im Wege stehen, keinem einen Platz in einer Equipe streitig machen. Doch dann hatte er plötzlich den Hengst Biotop unter dem Sattel, und über die Entdeckung des Trakehners im russischen Gestüt Kirow erfand er ein wunderschönes Märchen. Das sich so anhörte. Also, da habe er eines Tages am Ufer des Don gestanden, auf eine Pferdeherde geblickt und ganz hinten einen dürren, kleinen Hengst stehen sehen. Und ausgerechnet den wollte er haben. Das sei eben Biotop gewesen. Schön erzählt, eben fürs Märchenbuch. Hätte ja auch so sein können. Die Wirklichkeit war weniger romantisch. Biotop gehörte zu einem Lot von rund zehn Pferden, das sich der Buchloer Alexander Moksel jährlich in der damaligen UdSSR aussuchen durfte. Moksel, der 1945 als kleiner Metzger begonnen hatte und später ein wahres Imperium im Fleischhandel („Almox“) mit Milliardenumsätzen aufbaute, war auch Pferdenarr. Moksel lieferte Fleisch- und Wurstwaren in die UdSSR und ließ sich durch Pferde entgelten, außerdem unterstützte er auch Turnierreiter aus der Sowjetunion. Als der Turnierstall 1993 aufgelöst wurde, ging Biotop aus dem Besitz der Moksel AG in die neue AG von Chefbereiter Ludger Beerbaum und dessen Partner Ralf Schneider über. Ihnen kaufte Reiner Klimke Biotop ab. „So war das, nicht anders“, sagt Ludger Beerbaum. Mit Biotop kam wieder Lust auf Olympia bei Reiner Klimke auf, auf Atlanta 1996. Doch dann, aus heiterem Himmel, nahm Reiner Klimke seinen Abschied von der Bühne. Er sagte ganz leise Adieu. Auslöser war Biotop. Der inzwischen längst gekörte Hengst zeigte im Training vor dem Münsteraner Januar-Turnier 1998 ausgerechnet in den Trabverstärkungen Taktunreinheiten, sonst wahrlich Höhepunkte in den Vorstellungen des inzwischen 13-jährigen Dunkelbraunen. Klimke zog für das Turnier in seiner Heimatstadt zurück, er wurde vom A- in den B-Kader zurückgestuft. Er wäre eines schöneren Abschieds wahrlich würdig gewesen. Der große Reiner Klimke, Mannschafts-Europameister und Olympia-Teilnehmer 1960 in der Military, insgesamt zehnmal deutscher Meister (1-Mal Military), 13-Mal Europameister (1-Mal Military), sechsmal Weltmeister und sechsmal Goldmedaillengewinner bei Olympischen Spielen, starb am 17. August 1999 an den Folgen eines Herzinfarkt. Hauke Schmidt – Erfinder des „tragbaren Wassergrabens“ Ehe Hauke Schmidt (Jahrgang 1938) seine einmalige Karriere als Parcoursbauer und Erfinder begann, war er Springreiter. 25 Nationen-Preise ritt er für Deutschland, 200 Siege errang er in schweren Springen und war Teilnehmer der Europameisterschaft 1967. Von 1973 bis 1979 arbeitete er als Bundestrainer am Deutschen Olympiadekomitee für Reiterei (DOKR) in Warendorf. Ab 1979 war er internationaler Parcourschef und Berater u.a. bei Weltcupfinals in Göteborg, dann tätig in Calgary, in Montreal, Melbourne, New York, Teheran, Palm Beach, Moskau, Sao Paulo, Johannesburg, Kalkutta, Sofia, Frankfurt/ Main, Wolfsburg, Leipzig, Mailand – vor allem aber in Stuttgart: Bei den Schwaben baute er das lange Zeit in Deutschland einmalige Turnier in der Schleyerhalle mit auf. Und dafür flog er in der ganzen Welt herum, um die Besten zuerst für ein neues außergewöhnliches Turnier in Deutschland zu ködern – und um sie später leichter ins Schwabenland zu locken. Und die er wollte, hatte er dann auch am Start. Für den Holsteiner war die VW-Stadt Wolfsburg nach dem eigenen Sport der Beginn einer zweiten Karriere. Der Musterschüler des großartigen Hans-Heinrich Brinckmann zeigte beim internationalen Championat erstmals in Wolfsburg 1982 den Jungen Springreitern im Springreiten, wo es längst geht, um Europameister zu werden. Über seinen Parcourskurs. Den Titel holte der später überaus international erfolgreiche Niederländer Eric Van Der Vleuten. Schmidt, den man später auch den „Colani des Parcours“ nannte, hatte damals auch damals auch seine Erfindung mit nach Wolfsburg gebracht, den transportablen Wassergraben aus Kunststoff. Er hat zudem auch die inzwischen in der ganzen Welt praktizierte Siegerrunde ausgeheckt, zusammen mit dem US-Amerikaner Isaac Arguetty. Triebfeder war sicherlich auch das Fernsehen. Denn ohne TV-Übertragung läuft ja bekannterweise nichts mehr im Sport, und dort wiederum ist man auf bestimmte Programmzeiten angewiesen, wann Anfang, wann Ende. So wird inzwischen meist nach der Schmidt-Regel im großen Sport eine zeitlich kalkulierbare Prüfung geritten: Etwa zehn Reiter bestreiten den entscheidenden zweiten Umlauf einer Konkurrenz, alle beginnen bei null Fehlerpunkten, egal, mit welchen Strafpunkten sie diesen letzten Kurs erreichten, Sieger ist der Beste dieser Finalrunde. An eine Begebenheit in Wolfsburg erinnert er sich auch noch besonders. Vor der Weltmeisterschaft 1986 in Aachen ritt die Kanadierin Gail Greenough auf Mister T. beim CSI um den Goldenen Käfer. Hauke Schmidt, inzwischen aus Glems mit Gattin Marile zum Bodensee umgezogen: „Sie holzte alles ab…“ Wenige Tage später wurde sie Weltmeisterin, bisher immer noch die einzige Kanadas. (Fortsetzungen folgen)
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