Paul Schockemöhle - ein Besessener wird 80 |
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Geschrieben von: Dieter Ludwig |
Donnerstag, 20. März 2025 um 18:27 |
Paul Schockemöhle (Fotos: Kalle Frieler) Paul Schockemöhle ist im Turniersport ohne Abstriche eine der schillerndsten und bekanntesten Persönlichkeiten weltweit. An diesem Samstag, 22. März, wird er 80 Jahre alt, seinen 50. hatte er bisher als einzigen Geburtstag groß gefeiert, und diesmal ist er weit weg... Auf Äußerlichkeiten legt Paul Schockemöhle wenig wert, jahrelang wohnte er in Mühlen zur Miete, er sagte, „warum brauche ich ein Haus, geht mir doch so auch gut“. Und dass einer aus dem Dorf Mühlen nicht ins benachbarte Steinfeld zieht, das juckte ihn auch nicht. Dort hat er jetzt ein Haus. Der nun ergraute Leitwolf innerhalb des internationalen Clubs der Springreiter ist ruhiger geworden, gelassener und entspannter, doch innerlich brodelt noch manches Feuer. Er blieb jedoch immer eines: Ein Mann der Taten, nicht der Worte. Wer ihn braucht, kann seiner Hilfe sicher sein. Am 22. März wird er 80, ein bessener und ewig suchender nach mehr. Als sein Bruder Alwin (87) auf Ferdl in Rom 1960 zusammen mit Hans Günter Winkler und Fritz Thiedemann Mannschafts-Olympiasieger wurde, nagelte Paul Schockemöhle auf dem über 400 Jahre alten elterlichen Hof seine ersten Hühnerställe zusammen. Zwei Jahre später war er Europas größter Eierproduzent. Täglich legten seine Hennen 1,5 Millionen Eier. Nach dem Abitur ging er zuerst zur Uni Münster, dort belegte er die Fächer Betriebswirtschaft, Kreditverkehr und Buchhaltung. Nach dem ersten Semester sagte er: "Das reicht. Mehr kann ich hier auch nicht lernen." Die Hühner legten „goldene“ Eier. Als 17jähriger war er schon DM-Millionär. Mit Springreiten befasste sich der Südoldenburger nach Anfängen erst intensiv mit 23 Jahren. "Ich war kein Spätberufener", sagt er, "berufen war ich nicht." Doch was er anpackt, macht ein Paul Schockemöhle mit abgrundtiefer Leidenschaft, Ehrgeiz und Verstand, aber auch mit Dickköpfigkeit. Was er als Springreiter und als Geschäftsmann erreichte, hat er sich alles allein erarbeitet. Als Gesellschafter verschiedener Firmen mit einer Spedition, im Baubereich, auf dem Kunststoffsektor, mit Immobilien (Deutschland und USA), auch mal mit Altersheimen und in der Pferdezucht setzt er im Jahr rund 300 Millionen Euro um. Gut 5.000 Pferde besitzt er, 40 gekörte Hengste, die Zucht ist Teil seines Lebens geworden. Die Zucht löste den Sport ab. Etwa 1.000 Angestellte stehen auf den Lohnzetteln. An Selbstbewusstsein hat`s ihm auch nie gefehlt. Als er 1971 nicht für die Europameisterschaft nominiert wurde, verkaufte er seine vier Spitzenpferde im Lot für damals märchenhafte 800.000 Mark an den damaligen Bau-Löwen Josef Kun vom Niederrhein, darunter war der Spitzenwallach Askan, auf dem der dann flugs von Kun engagierte Gerd Wiltfang ein Jahr später Team-Gold bei Olympia in München gewann. 1975 überging der Springausschuss des Deutschen Olympiadekomitees für Reiterei (DOKR) für das kontinentale Championat in München erneut den erzürnten Schockemöhle, der daraufhin zu einer Pressekonferenz nach Düsseldorf einlud, wo er er loslederte: „Ich wurde belogen und betrogen.“ Und er sagte: „Ich verlange keine Milde, keine Ausnahmeregel, aber Recht." Er wurde danach ohne Wahl zum Wortführer seiner Kollegen auch auf internationaler Ebene, was ihn nicht gerade beliebt bei Veranstaltern machte, wenn er sich im Namen aller wegen eines tiefen Bodens in den Springbahnen zum Beispiel beschwerte. 1981 erstmals Europameister Am 13. September 1981 in München gewann er erstmals die Europameisterschaft. Er ritt und stritt auch damals. Einem Hamburger Journalisten blies er kurz vor seiner letzten Runde noch heftig den Marsch, dann ritt er ein - und gewann. Als bisher einziger Springreiter noch zweimal hintereinander, jeweils auf dem Hannoveraner Wallach Deister, den er bis zum Tod hegte und pflegte. Deister war als einziges aller seiner Pferde nicht käuflich. Deister hatte für damalige Verhältnisse, als die Springreiter noch ständig neidisch auf die Tennisgrößen und deren Gewinngelder schielten, 1.428.399 Mark gewonnen, eine unglaubliche Summe. Im August 2000 musste der Wallach eingeschläfert werden, bis zuletzt hatte er seine vertraute Box in Mühlen und sein gewohntes Umfeld. Er wurde 29 Jahre alt. Schockemöhle: "Ich hielt mich nie für einen begnadeten Reiter. Was ich habe und hatte, das ist Ehrgeiz, Kampfgeist und Gefühl für Pferde. Aber vielleicht arbeitete ich auch ein bisschen mehr als andere." Silber und Bronze brachte er mit von den Olympischen Spielen 1976 in Montreal und 1984 in Los Angeles, mit dem Team wurde er 1982 in Dublin Vizeweltmeister, sechs Mal legte man ihm die deutsche Championatsschärpe um die Schulter, erst sein ehemaliger Schüler Ludger Beerbaum löste ihn als Rekordhalter ab. Abschied in St. Gallen mit Pfiffen Den sportlichen Abschied nahm Paul Schockemöhle 1987 bei der Europameisterschaft in St.Gallen. Er schimpfte zwar über die grauenhaften Bodenverhältnisse nach tagelangem Regen, wurde gar daraufhin sogar öffentlich vom Platzansager verhöhnt und vom Publikum ausgepfiffen. Gegen gegen seinen Willen hatte er seinen Deister nochmals gesattelt zur letzten Runde, jenseits des Gewinns einer weiteren Medaille. "Ich wurde gezwungen, vom Springausschuss und vor allem auch von Hans Günter Winkler. Das ist mein schmerzlichstes Erlebnis im Sport, dass ich mich dem Druck beugte“, sagte er später. Im Schlamm des Stadions erlitt Deister fast einen totalen Sehnenabriss, für ein Springpferd normalerweise das Ende, nicht nur der sportlichen Laufbahn. PS über Deister: "Der Wallach war weit mehr als ein Pferd für mich - wahrlich ein Freund. Ich schätzte an ihm vor allem seinen Charakter.“ Noch heute belastet ihn die Verletzung von Deister mehr als die Barr-Affaire von 1990. Damals zeigte Deutschland mit dem Finger auf ihn. Er war der Tierquäler, jede TV-Anstalt versuchte, ihn vor Mikrofon und Kamera zu zerren. Das ZDF hatte Glück mit dem damaligen wirklich noch aktuellen Sportstudio. Dort lauerte der wahrlich vom Pferdesport unbedarfte Moderator Günter Jauch auf ihn, das Publikum im Studio jaulte umso lüsterner auf und wohl auch anderswo an den TV-Schirmen, als Schockemöhle, eine Barrstange in der Hand, genüsslich vorgeführt wurde. Seine sachlichen Argumente fanden keinen Widerhall. Jauch hatte die Claqueure auf seiner Seite, Schockemöhle saß zusammen mit Dr. Reiner Klimke als sein reiterlicher Beistand hilflos und ohnmächtig vor einem Millionenpublikum, als der Film ablief. Auf dem Streifen wurden junge Auktionspferde mit Stangen touchiert, wie man heute sagt. Doch kein echtes Nachfragen von Jauch folgte, er hätte sich möglicherweise den Abend verdorben, der Applaus war Jauch wichtiger als eine Diskussion über das Barren. Inzwischen ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass fachmännisches Barren keine Tierquälerei ist. Über medizinische Hilfe beim Pferd hat auch Paul Schockemöhle seine Meinung. Wer einem Pferd Schmerzen lindert oder nimmt, sei nun nicht auch schon gleich ein Doper, sagt er. Aber in der Reiterei sei eben alles verboten. Seine Forderung: Was die Leistung nicht beeinflusst, darf auch nicht als Doping bezeichnet werden. Die neue Rolle des Paul S. Seit 1991 spielt Paul Schockemöhle, der Achtung hat vor den Behindertensportlern, neue Rollen. Seine Kavallerie mit den Tetereitern Ludger Beerbaum, Otto Becker oder Franke Sloothaak hat sich aufgelöst, jeder ging seinen eigenen Weg. Doch bis heute gilt vielerorts immer noch: Wer eine rasche und gezielte Weiterentwicklung als Springreiter sucht, klopft in Mühlen an. So durchlief die dreimalige Weltcupgewinnerin Meredith Michaels-Beerbaum dort ihre Schulung, Jordaniens König Hussein schickte seine Tochter Haya, die spätere Olympia-Teilnehmerin und Präsidentin des Reiter-Weltverbandes (FEI), und die Scheichs entsandten ihre Söhne meist auch erst einmal zu ihm. Sein ehemaliger Schüler und spätere Team-Olympiasieger Dirk Hafemeister (+2017) sagte mal über ihn: „Er schiebt alles beiseite, was ihn aufhält. Nie habe ich jemanden erlebt, der so konzentriert den eingeschlagenen Weg zu Ende geht wie er.“ Weitere Rollen Rund ums Pferd Paul Schockemöhle wurde auch zusätzlich Turnierveranstalter. 1988 erfand er mit dem früheren Tennis-Mogul und Boris-Becker-Manager Ion Tiriac die "German Classics", mit Ulli Kasselmann veranstaltet er alljährlich die PSI-Auktion mit erlesenen möglichen Cracks im Spring- und Dressursport, die inzwischen erloschene "Riders Tour" schuf er mit, und auch der Weltcup geht letzten Endes auf ihn zum großen Teil zurück. Verheiratet ist er in zweiter Ehe mit Bettina Gerdts, die ihm auch mal widerspricht. Aus erster Ehe stammt Tochter Vivien (heute 41), Betriebswirtin, Springreiterin und im Pferdehandel erfolgreich unterwegs, was wohl in den Genen liegen müsste. 1992 erwarb er in Mecklenburg-Vorpommern ein Areal von 3.300 ha, wo einst über 6.000 Kühe grasten, ist inzwischen die Heimat von 2.000 Pferden und Fohlen. Dort entstand Gestüt Lewitz. 30.000 qm hat er überdachen lassen, dazu gibt es eine Halle von 17.000 qm. Schockemöhle ließ eine hochmoderne Veterinärstation errichten, stellte Hufbeschlagschmiede fest an. Die Pferde werden in Gruppen gehalten, ihrem Wesen entsprechend. Alles ist perfekt durchorganisiert, Schockemöhle gilt in der strukturschwachen Region als willkommener Arbeitgeber, für die Mitarbeiter ließ er auch zusätzlich Wohnungen bauen. Er selbst wohnte lange Zeit auf dem Gestüt in einem Container. Insgesamt besitzt Schockemöhle rund 5.000 Pferde. PS - so lachend sieht man ihn selten... Die Zucht bestimmt nun sein Leben und hat den Sport abgelöst, „den habe ich hinter mir“, sagt er, auch wenn er immer noch als Coach gefragt ist. Dass der größte private Züchter des Planeten auch mal daneben greifen kann, belegt der Fall Totilas. Der Rapphengst war nach den Weltreiterspielen 2010 in Kentucky für neun Millionen Euro vom niederländischen Besitzer nach Deutschland verkauft worden, die Rechte zur Zucht erhielt Schockemöhle. Mit Totilas war der Niederländer Edward Gal zu allen drei möglichen Goldmedaillen in Kentucky geritten, Gal war der ideale Totilas-Reiter. Pro Portion Samen von Totilas hatten Interessenten 8.000 Euro zu löhnen, die Hälfte sofort, den zweiten Teil nach Geburt eines gesunden Fohlens. Im ersten Jahr sammelte Schockemöhle zwei Millionen Euro damit ein, danach ging Totilas lahm, und ohne sportliche Erfolge sank die Nachfrage nach dem Hengst als Vererber. Schockemöhle sagt: „Totilas war letzten Endes eine Fehlinvestition.“ Geld verloren hat er nicht. Hoppegarten wollte er auch kaufen… Nach der Wende 1989 interessierte sich Schockemöhle auch stark für die einstmals berühmte Galopprennbahn Hoppegarten vor den Toren Berlins. Die Anlage war heruntergewirtschaftet, das 440 ha große Areal befand sich in einem desolaten Zustand. Jährlicher Zuschussbetrieb in Höhe von zwei Millionen Mark. Die ehemalige Vorzeigebahn stand durch die Treuhand zum Verkauf, Interessenten waren der Union-Club als eingetragener Besitzer, das Land Brandenburg und Paul Schockemöhle. Schockemöhle legte ein Konzept vor, mit dem die beiden Konkurrenten nicht mithalten konnten. Der 61-malige Nationen-Preis-Starter versprach den Bau neuer Stallungen, die Restaurierung und Erhalt der Bahn auf Weltniveau – ohne Subventionen. Er plante außerdem die Errichtung einer Turniersportanlage, den Bau eines Hotels für Tagungen und einer Halle sowie die Schaffung einer Sportanlage für Allgemeinsport und das Anlegen von genügend Parkplätzen, und er garantierte Arbeitsplätze. Dazu versprach er, sollte Berlin die Olympischen Sommerspiele 2000 erhalten, die Bewerbung scheiterte, werde er Hoppegarten für die Reiterwettbewerbe kostenlos zur Verfügung stellen. In den Rennsport wollte er nicht einsteigen, doch er war sich sicher, „Renntage organisieren zu können.“ Die Politik verpasste die große Chance, Schockemöhle bekam den Zuschlag nicht.
PS und Ehefrau Bettina beim CHIO in Aachen
In diesem Jahr 1.200 Fohlen In diesem Jahr erwartet der Züchter Paul Schockemöhle 1.200 Fohlen von ausgesuchten Stuten und Hengsten, geeignet für Dressur oder Springen oder gar beides. Seinem Besucher Peter Weinberg, ehemals Springreiter und inzwischen erfolgreich als Coach der belgischen Nationalmannschaft, sagte er, nach 14 Tagen schaue er sich alle an „und dann weiß ich, welchen Hengst ich mir für die betreffende Stute für das nächste Fohlen auswähle…“ Seinen 80. Geburtstag feiert er in kleinem Kreis fernab in Florida. Dorthin flog er mit seiner Frau Bettina, zunächst zum Offiziellen Internationalen Springturnier (CSIO) der USA nach Ocala und von dort geht`s nach Wellington. So hat er auch dort genügend Pferde um sich herum, die jedoch von ihm nichts wollen und ihn einfach in Ruhe lassen...
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