Paris 24: Olympia als Herausforderung in schwierigsten politischen Zeiten |
Geschrieben von: DOSB/ Günter Deister |
Dienstag, 23. Juli 2024 um 17:49 |
Olympische Spiele in unfriedlichen Zeiten können der Welt ein Zeichen dafür geben, dass friedliches Zusammenkommen noch möglich ist. Paris gibt wahrscheinlich auch bereits einen Blick auf mögliche Nachfolger des im nächsten Jahr ausscheidenden Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach. Ein Beitrag von Günter Deister. Wenn es um Wertigkeit, Herausforderung und Veränderung Olympischer Spiele geht, scheint keine Stadt als Ausrichter erfahrener, bewährter und damit auch geeigneter zu sein als Paris. Und das in unruhigen, unsicheren, bedrängenden Zeiten. Gekennzeichnet durch einen Eroberungskrieg Russlands gegen die Ukraine. Und nun auch durch den erbitterten, von einem Attentatsversuch auf Donald Trump weiter aufgeheizten Machtkampf in den USA. Dort wird bei der Wahl im November darüber entschieden, in welche Richtung die westliche Vormacht steuert. Und was das weltweit für Auswirkungen hat. Olympische Spiele sind, wie die Vergangenheit zeigte, und wie die bevorstehenden Spiele in Paris erweisen werden, jeweils ein Seismograph für den Zustand der Welt. Zum Jahrhundertbeginn 1900 mühten sich in Frankreichs Metropole im Rahmen der Weltausstellung 997 Sportler aus 24 Ländern um Medaillen, darunter 22 Frauen. Das war ein erster Rekord, verglichen mit den 241 Teilnehmern bei der Olympia-Premiere moderner Zeitrechnung 1896 in Athen. Und ein geschichtsträchtiger Fortschritt. Denn in Griechenlands Zentrale waren die Frauen noch ausgeschlossen. Einen neuen Maßstab setzten vor 100 Jahren die zweiten Olympischen Spiele in Paris: 44 Länder beteiligten sich unter der neuen Formel „citius, altius, fortius“ mit 3089 Sportlerinnen und Sportlern, wobei der Frauenanteil auf 136 angestiegen war. Der Finne Paavo Nurmi machte sich mit dem Gewinn von fünf Goldmedaillen innerhalb von vier Tagen zu einer Langlauf-Legende. Die zunehmend politische Bedeutung der Spiele fand ihren Ausdruck durch den Ausschluss Deutschlands, das schon vier Jahre zuvor von den Spielen 1920 als Verursacher des Ersten Weltkriegs nicht erwünscht war. Und nun also die dritten Spiele in Paris als eine Art olympischer Revolution mit der größten Herausforderung, in unfriedlichen Zeiten der Welt ein Zeichen dafür zu geben, das friedliches Zusammenkommen noch möglich und so ganz besonders wichtig ist. Verbunden mit inneren Reformen, das schier unaufhaltsame Wachstum vergangener Spiele zu begrenzen, die sportlichen Inhalte zu modernisieren, die Gleichheit der Geschlechter durch Parität von Frauen und Männern zu vollenden. Der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach hatte das zu seiner Agenda gemacht. Unter Abgabe von Kompetenzen. Die olympische Gerichtsbarkeit liegt weit gehend beim Internationalen Sport-Gerichtshof CAS. Die Zuständigkeit im Kampf gegen Doping hat das IOC der Weltantidoping-Agentur WADA übertragen. Die von Bachs Komitee gekürzte Kennzahl für die Sommerspiele lautet 10.500 Teilnehmer in 329 Wettbewerben. Das sind nahezu 1.000 weniger im Vergleich zum Paris-Vorgänger Tokio, der 11.420 Athletinnen und Athleten zu verkraften hatte, und das noch unter den Bedingungen einer Pandemie. Das sich selbst auferlegte Gebot einer Teilnahmebegrenzung kann das IOC durch die katastrophalen politischen Umweltbedingungen nun noch leichter einhalten. Kriegstreiber Russland, sonst bei Olympia mit Athleten-Hundertschaften unterwegs, darf in Paris wie dessen Verbündeter Weißrussland nur mit einem minimalisierten, unkenntlich gemachten Team antreten. Begrenzung ist nur einer der wesentlichen Begriffe der ambitionierten Agenda-Politik des deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach. Erneuerung ein anderer. Die Auswahl von Paris mit dem gleichzeitigen Benennen von Los Angeles als Ausrichter der Spiele 2028 steht für eine neue Flexibilität der Vergabe von Olympischen Spielen. Sie hat die Anmutung einer Revolution. Dazu gehört die Auswahl von Brisbane als Ausrichter der Sommerspiele 2032. Eine vom IOC eingesetzte Expertenkommission hat sie begutachtet und empfohlen. Die Exekutive hat ihr zugestimmt, die Vollversammlung hat sie abgenickt. Unter Bedenklichkeiten, aber mit dem entscheidenden Vorteil: Kein Wettrennen mehr zwischen Kandidaten mit Aufwänden jenseits der 100 Millionen Euro-Grenze. Und zugleich das Vermeiden von Korruption unter IOC-Mitgliedern, wie es in der Vergangenheit immer wieder aktenkundig geworden war. Die Vergaben der Sommerspiele in Bachs präsidialer Verantwortung sind in einer Westbewegung zu Tokio, Paris, Los Angeles und 2032 dann Brisbane gut begründet. Das gilt unter besonderen Umständen auch für die Winterspiele in Pyeongchang (2018), Peking (2022), Mailand/Cortina d‘Ampezzo (2026) und 2030 voraussichtlich in einer Region der französischen Alpen. Der Klimawandel setzt künftigen Bewerbungen immer engere Grenzen. Die beklagenswerte Wahl für Peking ist erwachsen aus der olympischen Katastrophe der von Russlands organisierten Betrugs-Spiele 2014 in Sotschi. Nur noch Chinas Kapitale und das unscheinbare, mit Sicherheit überforderte Almaty aus Kasachstan hielten eine Bewerbung für die schwer beschädigten Winterspiele 2022 für angemessen. Peking gewann das ungleiche Duell dennoch nur mit 44:40 Stimmen. Ein haarscharfer Sieg des Giganten gegen den großen Außenseiter, aus olympischer Not geboren - und mit eindeutiger Aussagekraft. Und nun also die dritten Spiele in Paris - von Bach ausgerufen als seine Agenda-Spiele, dem Resultat vielfacher Reformen mit der nun auch zahlenmäßigen Gleichstellung von Mann und Frau in allen Wettbewerben und insgesamt 21 mal im Mixed vereint. Andere Entscheidungen unter seiner Führung sind ebenfalls bedeutsam. Das IOC hat die olympische Gerichtsbarkeit an den Internationalen Sportgerichtshof CAS abgetreten. Die Zuständigkeit im Kampf gegen Doping hat Bach der Weltantidoping-Agentur WADA zugeordnet. Kompetenzen, die das IOC zuvor für sich selbst in Anspruch genommen hatte. Bleibt die Frage nach einer Zukunft des ersten Deutschen im olympischen Chefsessel, die nach 12 Amtsjahren fristgerecht 2025 endet, sich in der Vergangenheit aber als dehnbar erwiesen hat. Bachs Förderer Juan Antonio Samaranch hatte es auf diese Weise auf 21 Präsidentschaftsjahre geschafft. Und da ist im IOC unter anderen auch noch Samaranchs strebsamer Sohn Juan Antonio, der als nun auch schon 64-Jähriger ebenfalls ins höchste Amt des IOC strebt. Die olympische Vollversammlung als Vorspiel der Spiele, sie könnte erste Auskünfte geben.
|