Die Balance fehlt in Zucht und Sport |
Geschrieben von: Andre Hascher/ dl |
Montag, 21. Oktober 2024 um 16:46 |
Darmstadt. Der Autor André Hascher ist Rechtsanwalt, aktiver Turnierreiter, Pferdezüchter, Trainer von Reiter und Pferd und Inhaber einer Vermittlungsagentur für Pferde, er machte sich Gedanken über die Zucht und Ausbildung junger Pferde, er prangert zum Beispiel an, dass der Bewegungsapparat junger Pferde überstrapaziert werde, was bewusste Sitzfehler nach sich zögen, dass falsch trainierte Pferde als Krüppel endeten, und er fordert, dass Chefrichter einzugreifen hätten, sollten unkorrekt ausgebildete Pferde in Dressur oder Springen vorgestellt werden. Takt, Losgelassenheit - Balance, das sind die Grundvoraussetzungen für einen gesunderhaltenden Bewegungsablauf. Sind Rhythmus und Balance beeinträchtigt, kommt das biomechanische Gleichgewicht des Pferdes aus seiner naturgegebenen Funktionalität mit der Folge, dass der Bewegungsapparat partiell oder systemisch überlastet wird. Das führt zu Sportverletzungen und letztlich zum Verschleiß des Pferdes, schmerzhaften Folgen und einer dauerhaften Zerstörung der Gesundheit. Das alles ist längst bekannt. Dennoch werden auch in diesem Jahr wieder teils offensichtlich ataktische Junghengste bei den Vorauswahlterminen ausgewählt und dürfen als Köranwärter auf den Zuchtsegen hoffen - vollkommen unverständlich. Gleichläufig zu diesem Verlust der Korrektheit in Konstruktion und Bewegungsablauf in der Zucht, verbreiten sich auch tierschutzwidrige Trainingsmethoden mit verheerenden Folgen für die Gesundheit der so maltretierten Pferde: Die Beine werden mit Gummibändern verschnürt. Pferden Angst eingetrieben. Mit absichtlichen Sitzfehlern, Rückenlage und "Stuhlsitz" wird die sensible Oberlinie der Pferde absichtlich fehlbelastet, um künstliche Schulterfreiheit zu erzwingen. Das Gleichmaß der Bewegung geht dabei verloren, die Pferde leiden unter Trageerschöpfung und viele zunächst hochveranlagte Pferde enden als Sportinvaliden, körperlich und psychisch zerstört. Vieles ist längst bekannt. Das Ausmaß ist enorm: Gerade Gummibänder und Gewichte kommen nicht nur bei den ganz düsteren Gestalten zum Einsatz, sondern auch bei bekannten Medaillen-Gewinnern... Ursprünglich war alles anders: Dressursport hatte das traditionelle Ziel feinster Hilfengebung und der Stärkung und Entwicklung der biomechanischen Funktionalität zur lebenslangen Förderung der Gesunderhaltung der Pferde. Das neueste Schreckensvideo zeigt wieder, dass ein auf diese Art und Weise regelwidrig und falsch trainiertes Pferd die erhoffte Leistung am Ende doch nicht abrufbar erbringen kann und am Schluss körperlich und mental völlig zerstört scheitert. Das Allerschlimmste: Erneut kommt dieses Pferd aus mehrfach als problematisch aufgefallenem Trainingsumfeld... Was brauchen wir ? Korrektheit und Harmonie vor "höher, schneller, weiter" ! Und das gilt für Zucht und Sport gleichermaßen. Im Sport: Korrektes richten gemäß der bereits bestehenden Leitlinien und klarer Durchgriff der Chefrichter. Ein solcher Ritt, wie zuletzt medial viel diskutiert wurde, muss (!) abgebrochen werden, sonst schadet der Sport nicht nur dem betroffenen Pferd, sondern der gesamten Branche, also auch den vielen redlichen Reitern, Züchtern und Pferdefreunden, die täglich ihr Bestes geben, für ihre Tiere. Auch ihr Ansehen leidet in der Öffentlichkeit, wenn der finanzielle Einfluss einzelner so weit reicht, dass sie offenbar tun und lassen können, was sie möchten, ohne nachhaltige Konsequenzen. Das ganze Thema hat auch erheblichen sozialen Sprengstoff: Während Anstand und Respekt sowie Harmonie mit dem Tier gelehrt wurde, werden die jugendlichen Nachwuchsreiter heute ohne Rücksicht auf Verluste auf "Erfolg" getrimmt. Was mag es nur mit den sich noch entwickelnden Persönlichkeiten der Nachwuchsreiter machen, wenn sie regelmäßig Zeugen von Tierquälerei am eigenen Pferd werden und ihnen Trainer als "Vorbilder" vorgesetzt werden, die selbst offiziell gesperrt sind oder in den Medien zurecht wegen ihrer teils grenzwertigen bis hin zu kriminellen Machenschaften kontrovers diskutiert werden. Das macht nicht nur etwas mit den Pferden, sondern auch mit den jungen Menschen, da spielt es keine Rolle, ob der Geldbeutel der Eltern größer oder kleiner ist. Doppelmoral und Sensationsgier sind sicherlich keine guten Wegbegleiter für die Entwicklung junger Persönlichkeiten. In der Zucht: Korrektheit, Stabilität, Haltbarkeit, und um das überhaupt dauerhaft absichern zu können: Immer auch genetische Vielfalt ! Wir brauchen die Basis zurück. Korrekte Fundamente: Junge Hengste, die altersgerecht gezeigt werden dürfen und die nicht aussehen müssen, als wären sie bereits fünf Jahre älter. Neben einer dringend notwendigen Trendwende in der Beurteilung der Köraspiranten, sollte auch Raum sein, neben der hochspezialisierten Zucht von Dressur- und bzw. heute leider "oder" Springpferden, auch dafür, eine gesunde Basispopulation zu erhalten: Vielseitig veranlagte Pferde mit hoher Funktionalität und ohne übermäßigen Fremdbluteinsatz. Noch vor 20 Jahren wurde darauf geachtet. Heute wird - auch von den Verbänden - der Irrglaube verbreitet, Spezialisierung in eine Disziplin sei das Allheilmittel in der Zucht und die alternativlose Möglichkeit, züchterischen Fortschritt zu erreichen. Spitzenhengste, wie Argentinus, Graphit, Furioso II, Inschallah, Farn, Landgraf, Calypso I und viele mehr haben hochveranlagte Weltklassepferde mit extremer Härte und Haltbarkeit geliefert, die teilweise in allen Spaten der Reiterei, disziplinübergreifend bis hin zu Olympischen Spielen teils geschichtsträchtige Erfolge errungen haben, ganz ohne Spezialisierung. Heute wird oft der Eindruck erweckt, vielseitig einsetzbare Pferde seien nicht zu Höchstleistungen fähig. Dies ist schlichtweg falsch. Den Springpferden mag die Spezialisierung geholfen haben, den Dressurpferden hat sie viel Leid und teils grobe Exterieurfehler beschert: Künstlich verlängerte Vorderbeine, schwache Rücken und mehr Mechanik als schwingende Elastizität. Schöne alte Begriffe sind in Vergessenheit geraten: "Gurtentiefe" noch treffender: "Herztiefe". Volumen und Rahmen im Pferd, nicht zuletzt, um Gesundheit und Qualität und Funktionalität der Organe züchterisch abzusichern. Die sogenannten frühreifen Pferde werden bevorzugt, das sind selten diejenigen, die große Partien, Kaliber und Rahmen haben, weil diese Pferde bis 6-, 7-Jährig Zeit brauchen, um ihre Partien zu füllen. Mit solchen Pferden lässt sich zweinhalbjährig nicht das große Geld verdienen, aber dafür Zuchtfortschritt über Generationen. Trotz aller Skandale werden aber die Hengste, gerade von den Betrieben genutzt, die eigentlich diese Proleme für unsere Branche erst geschaffen und verstärkt haben. Wer hat wirklich Interesse an einem Systemwechsel zurück zur Vernunft und Mitte im Sinne unserer tollen Pferde ? Siehe auch im Gästebuch "Leserbrief von Ingrid Wecker" |