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Heute vor 25 Jahren starb Dr. Reiner Klimke PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von: Dieter Ludwig   
Samstag, 17. August 2024 um 13:27

Reiner Klimke und Ahlerich 1984 in Los Angeles - Gold mit Ansage...

(Foto: Werner Ernst)

Im Alter von 63 Jahren starb am 17. August 1999 der erfolgreichste Dressurreiter des letzten Jahreshunderts, Dr. Reiner Klimke. Vom ersten Herzinfarkt am 6. August 1999 hatte er sich erholt, den zweiten wenige Tage später überlebte er nicht. Ein Blick zurück auf das unvergessene Leben und Wirken des Rechtsanwalts, großen Reiters und großen Menschen.

Vor den Spielen 1984 in Los Angeles schickte eine Firma für Brotaufstrich an die deutschen Olympiastarter einen simplen Handzettel, darauf sollten die Sportler persönliche Fragen beantworten. Reiner Klimke nannte als Hobby „Reiten und Lesen“, bei sportliches Vorbild schrieb er „z. Zt. keines“, als Lieblingssänger nannte er Neil Diamond, bei Lieblingsessen notierte er „Züricher Geschnetzeltes“, und bei „sportliche Erfolge“ – machte er nur einen Strich… Das Blatt hätte nicht ausgereicht, alle seine Siege, Platzierungen, Plaketten zu notieren. Ein Strich, sonst nichts. Einer wie er musste nicht auch noch als Statistiker auftreten. Er war sich damals längst selbst genug.

Und natürlich auch von sich mehr als überzeugt. So sagte er am 21. November 1983 während des Turniers in der inzwischen längst abgerissenen geschichtsträchtigen Berliner Deutschlandhalle: „In Los Angeles reite ich mit Ahlerich – und ich gewinne mit ihm.“ Und da er gerade gut in Fahrt war in jenem Moment nach dem Erfolg mit dem Wallach im Grand Prix Special, bekam der damalige Chefredakteur der „ReiterRevue“ Gerhard Sch. so en passant sein Fett ab. Dem nämlich sagte er: „Sie sind ein Riesen-A..., das wollte ich Ihnen schon längst mal sagen. Sie berufen sich immer auf die Pressefreiheit, ich berufe mich nun mal auf die Meinungsfreiheit…“

Nebensächlichkeiten machten ihn menschlich so sympathisch. Er war einer, mit dem man gerne ein Bier trank. Weil er auch etwas zu sagen hatte. Nicht nur zum Reiten oder über Pferde.

Dass er Reiter wurde, war vorgegeben. Sie ritten alle in der Familie, der Vater, die Mutter, die Geschwister. Der Krieg zerriss die ganze Familie, Münster wurde zerbombt. Der Vater, Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Uni in Essen, war abkommandiert als Oberstabsarzt nach Finnland und Russland, die Mutter und Schwester Grete lebten auf einem Bauernhof bei Paderborn, Bruder Jürgen musste nach Bayern, und Reiner Klimke lebte im Zuge der Kinderlandverschickung zwischen 1940 und 1943 bei einem Bauern in Entrup. Dort fuhr man noch mit der Kutsche zur Kirche und zur Schule, das Pferd gehörte zum Alltag, war Teil des täglichen Lebens.

Mit dem Fahrrad nach Warendorf

Vier Jahre nach Kriegsende ritt Reiner Klimke als 13-jähriger bereits seine ersten Turniere. Albert Stecken, später Vorsitzender des Dressurausschusses, und dessen Bruder Paul, zwei große Pferdemänner, formten ihn. Mit dem Familienpferd Nette kamen die ersten Erfolge. Er startete für den Reiterverein Westbevern, in Warendorf wurde der große Hippologe Dr. Gustav Rau auf ihn aufmerksam. Der holte ihn an das Deutsche Olympiadekomitee für Reiterei (DOKR). Zwischen 1953 und 1955 pendelte der Pennäler Klimke zwischen Münster und Warendorf, „entweder mit dem Zug, mit dem Fahrrad hin und zurück an die 50 Kilometer, oder später mit einem Moped.“ Am Komitee „ritt ich alles, was in den Boxen herumstand, in Disziplinen Springen, Dressur, Military“, wie er mal erzählte, zum Beispiel Aar und Scipio. Mit dem von ihm auf Dressur „umfunktionierten“ Wallach Aar, der unter Fritz Thiedemann 1953 den Großen Preis der Springreiter in Aachen beim deutschen CHIO gewann, siegte Klimke zwei Jahre später, ebenfalls in Aachen, in einer schweren Dressur, und ein Jahr später gewann er auf dem Vollblüter Scipio, der von Gustav Rau für die Vielseitigkeit angekauft worden war, eine St. Georg-Dressur. 1955 war Reiner Klimke der erste deutsche Dressurreiter, der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder im Ausland ritt, in Thun in der Schweiz. Auf Aar wurde er Sieger in der Intermediaire-Konkurrenz und Zweiter im Grand Prix.

In seiner Warendorfer Zeit „gewann“ Reiner Klimke übrigens seine erste Medaille. Bei einem Besuch des damaligen Kaisers von Äthiopien, Haile Selassie, durfte er dem Negus am Komitee Scipio vorreiten, und der schenkte ihm anschließend gönnerhaft eine Goldmünze…

Auf Knopfdruck konnte Reiner Klimke sein Leben aufblättern wie ein Buch, den Sport, den Beruf, die Familie, die Freunde, das Schöne und weniger Schöne. Da sagte er oft: „Was gut war, sagen mir die anderen, was nicht so gelang – meine Frau Ruth.“ Im Sport hatte er keine Steigbügelhalter, und beim Begriff „Sponsor“ wusste in seiner Zeit so mancher nicht einmal, wie man Sponsor buchstabiert, geschweige denn, was es bei einem Sponsor so auf sich hat.

Per Anhalter nach Olympia

Olympia war immer das Ziel des ewig schlaksigen Reiner Klimke. Und nahe dran war er bereits 1956. Mit der vom großen Lehrmeister Willi Schultheis ausgebildeten und von ihm dann weiter intensiv geförderten Hannoveraner Stute Doublette sah er sich bereits auf der Reise nach Stockholm, wohin die Reiterspiele wegen der strengen Quarantänebestimmungen Australiens von Melbourne ausgelagert worden waren. Doublette stand in Besitz des mächtigen Verlegers Axel Caesar Springer, dessen Gemahlin Rosemarie ebenfalls in der Hohen Schule der Dressur zuhause war. Klimke wiederum hatte sich inzwischen mit der Ehefrau von Gustav Rau verkracht, so dass er plötzlich nichts mehr zu reiten hatte, aber von Springer glücklicherweise mit offenen Armen aufgefangen wurde. Doch den Warendorfer Funktionären war er trotz Leistung und Doublette für Olympia noch zu jung, zu unerfahren, nach Skandinavien reiste die Damen-Equipe mit Liselott Linsenhoff und Adular, Hannelore Weygand und Perkunos und Anneliese Küppers und Afrika, das Trio kehrte mit Silber zurück.

Reiner Klimke teilte gleichzeitig das Schicksal seines oftmaligen Zimmerkollegen („wenn ich mal in Warendorf übernachtete“) Alwin Schockemöhle, der hatte sich in der Vielseitigkeit für Olympia qualifiziert, wurde aber ebenfalls aus angeblich gleichen Überlegungen nicht nominiert.

Alwin Schockemöhle, ein Jahr jünger als Reiner Klimke, war ebenfalls als großes Talent nach Warendorf ans Komitee geholt worden, wo Deutschlands Reiterzukunft gemacht wurde. Klimke, dessen Reiterstärke im „Busch“ lag, und Schockemöhle, der stark in der Dressur ritt, brüteten damals schon an Neuerungen herum, was sich in der deutschen FN alles ändern müsste, beispielsweise die Kungelei sollte aufgeschafft werden oder Herkunft und Besitz dürften keine Rolle mehr spielen. Das Duo wollte damals bereits eines: Eine Nominierung für Olympische Spiele oder Championate sollte nur noch von vorher gezeigten Leistungen abhängen.

Bei den Olympischen Spielen waren dann die beiden Kumpels in der schwedischen Hauptstadt dennoch, per Anhalter hatten sie Stockholm erreicht. Eintrittskarten als ganz normale Zuschauer mussten sie sich dann jedoch selbst organisieren, vom Verband half niemand. Nach dem verhinderten Olympia setzte Alwin Schockemöhle verärgert die Sturzkappe ab und wurde Springreiter von Weltgeltung, Reiner Klimke hängte Frack und Zylinder an den Haken ritt im „Busch“.

Briten erstmals zu Hause geschlagen…

Für die Military, wie damals die Vielseitigkeit noch hieß, kaufte er Alwin Schockemöhle „für einen Freundschaftspreis“, so er selbst, den Wallach Lausbub ab. Mit Lausbub und Reiner Klimke, dazu August Lütke-Westhues auf Franko, Ottokar Pohlmann auf Polarfuchs und Siegfried Dehning auf Fechtlanze, wurde die deutsche Equipe Vize-Europameister hinter Großbritannien 1957 in Kopenhagen, zwei Jahre später mussten sich die Briten, die sich bekanntermaßen gerne für die Erfinder der Vielseitigkeit halten, auf eigenem Grund und Boden um den Titel des alten Kontnents in Harewood erstmals geschlagen geben, der deutschen Mannschaft mit Reiner Klimke auf Fortunat, Dehning auf Fechtlanze, August Lütke-Westhues auf Franko und Ottokar Pohlmann auf Polarfuchs. Reiner Klimke: „Das war ein historisches Ereignis, der Mythos von der Unbesiegbarkeit der Briten war erstmals gebrochen.“

Im Olympischen Jahr der Sommerspiele 1960 in Rom wurde Reiner Klimke auf der Stute Winzerin deutscher Meister in der Military, übrigens, kein anderer deutscher Reiter war bis dahin, vor allem nicht in Vielseitigkeit und Dressur, in zwei verschiedenen Disziplinen nationaler Titelträger. Die Auktionsstute Winzerin „hatte gerademal 4000 Mark gekostet“, wie er sich erinnerte. Auf der dann in der Geschichte der Vielseitigkeit wohl geradezu mörderischsten Cross-Strecke aller Zeiten mit acht toten Pferden belegte er mit Winzerin den 16. Platz, „wäre Ottokar Pohlmann ins Ziel gekommen, hätten wir Silber gewonnen“, erzählte er später. Doch in der gemischten deutschen Equipe aus Reitern der damaligen DDR und der Bundesrepublik schieden Klaus Wagner auf Famulus und Pohlmann auf Polarfuchs im Gelände aus, Gerhard Schulz (DDR) auf Wanderlili wurde am Ende auf Platz 16 registriert, Reiner Klimke mit Winzerin auf Position 18.

Obwohl sein Herz bis zu seinem Tod immer für die Vielseitigkeit schlug, beendete er seine Busch-Karriere nach Rom. Noch in der sogenannten Ewigen Stadt fragte man ihn, ob er nicht als Dressurreiter nach Neuss auf die Lauvenburg komme wolle, wo gerade Harry Boldt seinen Dienst quittierte. Reiner Klimke holte Frack und Zylinder wieder aus dem Schrank und nahm den Job an, zumal er in der Nachbarstadt Düsseldorf als Referendar am Gericht arbeitete. Bis 1963 blieb er in Neuss, er bildete seine eigenen Pferde Arcadius und Dux weiter aus. Mit Arcadius gewann er 1965 in Kopenhagen Mannschafts-Gold zusammen mit Harry Boldt auf Remus und Josef Neckermann auf Antoinette, dazu kam Bronze in der Einzelwertung. Zwei Jahre später wurde er mit Dux erstmals Einzel-Europameister und holte mit Harry Boldt auf Remus und Josef Neckermann auf Mariano auch Team-Gold. 1965 und 1967 waren die Anfänge einer unglaublichen Sammlung von Titeln und Medaillen. Reiner Klimke mal zum Verhältnis mit Harry Boldt: „Wir hatten beide kein Geld, also auch keine Pferde, aber wir konnten reiten – man mochte uns und ließ uns mitmachen.“

 

Dr. Reiner Klimke - völlig entspannt im Stall

(Foto: privat)

Als er auf Ahlerich beim kontinentalen Championat 1983 in Aachen auf Ahlerich hinter der Dänin Anne Grethe Jensen und Marzog „nur“ Silber in der Einzelwertung gewann, sagte er noch am Abend nach der Schlussfeier in der Soers: „Den Titel hole ich zurück nach Deutschland.“ Wie so oft behielt er Recht. 1985 in Kopenhagen entthronte er mit Ahlerich Anne Grethe Jensen. Und er lud persönlich zur Siegesfeier im Team-Hotel ein. Als der damalige Equipechef Anton Fischer dann verkündete, er werde die Kosten übernehmen, sagte Reiner Klimke: „Nein Anton, das ist meine Feier, ich habe eingeladen und ich zahle auch…“

Schelte für die Springreiter nach LA 1984

Erfolg macht frei, auch im Reden. Erfolg hatte er mit der Equipe schon vorher, aber die Erfüllung war Los Angeles 1984, Einzelgold mit Ansage. Danach kamen viele Feiern, der Rechtsanwalt und Notar wurde herumgereicht wie ein Wanderpokal, er gefiel sich natürlich selbst in dieser Rolle. Und so hatte er auch einen großen Auftritt am 11. März 1985 in Rheydt, dort traf sich der rheinische Landesverband zur Jahreshauptversammlung. Dr. Reiner Klimke, der Gastredner, der Olympiasieger, der Alleskönner, der Allwissende, er sollte sich ein halbes Jahr danach zu den Olympischen Reiterspielen von Los Angeles äußern, zum Thema: „Wo stehen wir in Deutschland nach Los Angeles?“ Und das tat er auch, offen und unverblümt. Er sagte also, die amerikanischen Springreiter hätten gezeigt, dass man nicht nur schön, sondern auch erfolgreich reiten könne. Und auf den bekannten Hinweis, die Amis würden ja auf europäischen Pferden sitzen, meinte er: „Die Amis führen uns doch vor, wie man mit unseren Pferden besser reitet…“

Dann packte er die Streitaxt aus. „Unsere Herren, ich meine die Springreiter, haben nicht so abgeschnitten wie vielfach erwartet“, aber das sei ja kein Wunder und nicht nur auf den Verkauf der Pferde ins Ausland zurückzuführen, „Pferde wurden immer verkauft, beispielsweise von Hartwig Steenken und Alwin Schockemöhle, aber sie besorgten sich immer neue.“ Steenken, Schockemöhle, Fritz Thiedemann oder Hans Günter Winkler seien vor allem fleißig gewesen, sich nicht zu schade, auch die Ärmel hochzukrempeln, er hätte aber den Eindruck, „dass einige, das meine ich nicht pauschal, lieber an der Bar ständen als zu arbeiten.“ Winkler und Thiedemann seien jeweils zum „Sportler des Jahres“ gewählt worden, „keiner ihrer Nachfolger mehr. Das muss doch zu denken geben.“ Hermann Schridde sei ein hervorragender Bundestrainer, das Management stimme auch, um verlorenes Terrain zurückzuerobern, „denn wir haben genügend gute Reiter und auch gute Pferde.“

Der Dressur schrieb er an jenem Abend ins Stammbuch, „es ist fünf vor zwölf.“ Die Deutschen, die zehn Jahre lang alle Dressur-Teamwettbewerbe dominierten, seien in der Spitze schwächer geworden, „aber die Konkurrenz ist auch gewachsen.“ Alles hätte sich gewandelt, es gäbe nicht mehr den Chauvinismus von früher, „dass ein Richter seine Landsleute auf die ersten Plätze punktete.“ Inzwischen würde der beste Reiter auch gewinnen. Er hielt an jenem Abend ebenfalls ein Plädoyer für die professionellen Reitlehrer und hob besonders Jan Bemelmans heraus, „von seiner Sorte bräuchten wir noch mehr.“

Über sich sagte er: „Die Niederlage bei der Europameisterschaft in Aachen 1983 gegen die Dänin Anne Grethe Jensen hat mich gewurmt, das war der Ansporn zum Olympiasieg. Ich habe nach Aachen nur noch für den Erfolg in Los Angeles gearbeitet und gelebt.“

Die Vielseitigkeitsreiter streifte Reiner Klimke natürlich auch. So meinte er, er erhoffe sich im Hinblick auf Olympia 1988 in Seoul ein Ende des Schlendrians in Warendorf durch den neuen Funktionsträger Dr. Bernd Springorum als Ausschussvorsitzenden und die Bundestrainer Martin Plewa und Horst Karsten. Es wäre doch ein Unding gewesen, dass sich ein Ausnahmereiter wie Rüdiger Schwarz vier Jahre lang auf die Olympischen Spiele vorbereitete – und dann aber für Los Angeles kein Pferd gehabt hätte…

Er schockte die Dressurwelt

Am 29. Mai 1988 schockte der Ehrenbürger von Münster die Dressurwelt, in jeder Hinsicht. Zunächst erritt er auf dem bereits 17 Jahre alten Ahlerich im Grand Prix des Turniers in Riesenbeck beim Bauernführer Constatin Freiherr von Heereman-Zuydtwyck („mir gehört von Ahlerich der Schweif, weil ich zu einem Drittel an dem Pferd beteiligt bin“) bisher nie erzielte 1512 Punkte in einer solchen Prüfung, dann stieg Reiner Klimke vom Pferd und sagte:: „Ali will ich Olympia nicht mehr antun.“ Und weiter sagte er: „Ali gehört zur Familie, die Strapazen im Vorfeld und dann bei den Olympischen Spielen, das alles hat das Pferd nicht verdient.“

Olympia war gestrichen. Sohn Rolf listete die Leistungen des Westfalen Ahlerich auf und ließ bereits die Blätter verteilen. Am Schluss der Din A 4-Seite stand: „Letztes Turnier am kommenden Wochenende in Münster, Verabschiedung.“

Reiner Klimke durchlitt nach Riesenbeck schlimme Momente, für die Olympischen Spiele war er bereits ausgemustert, er hatte es gespürt. Er sagte damals: „Die sich als Freunde ausgeben, rufen nicht einmal mehr an.“ Bundestrainer Harry Boldt hatte auch bereits die Verbindungsleitungen gekappt. Man ließ ihn wissen, er möchte doch Ahlerich gar nicht mehr vorstellen. Mit diesem Auftrag war gar Anton Fischer nach Riesenbeck gefahren, doch Klimke gewann mit besagter Rekordpunktzahl, was wiederum ausgelegt wurde, als hätte man dem erfolgreichsten Dressurreiter aller Zeiten den indirekt nahegelegten Abschied verschönern wollen.

Doch einer wie er, lässt sich nicht aus dem Viereck verscheuchen, nicht ausgerechnet dort, wo er geherrscht hatte wie er wollte. Deutsche Meisterschaft in Verden am 13./ 14. August 1988. Der Alte tauchte wieder auf, der längst Totgesagte. Noch besser als in Riesenbeck, noch zehn Punkte mehr im Grand Prix. In einem VIP-Zelt am Viereck tobte aus dem Taunus der Unternehmer und Vater eines Reiters beim Ausschussvorsitzenden Anton Fischer in Richtung Richter: „Verbrecher und Betrüger“, er behauptete zudem, das Richtergremium sei manipuliert worden. Das alles focht Reiner Klimke nicht mehr an. Zum zehnten Mal wurde er Deutscher Meister, auf Ahlerich, der als Auslaufmodell galt. Wenige Wochen später in Seoul trug Reiner Klimke bei der Eröffnungsfeier im Olympiastadion von Seoul die deutsche Fahne, „das war mein großer Wunsch, nachdem ich 1984 in Los Angeles durch Losentscheid gegen den Segler Willi Kuhweide verloren hatte“, und mit Ahlerich holte er im Team zusammen mit Nicole Uphoff auf Rembrandt, Ann Kathrin Linsenhoff auf Courage und Monica Theodorescu auf Ganimedes seine insgesamt sechste olympische Goldmedaille, damit wurde er als Reiter unsterblich…

Zwei Tiefschläge hintereinander

Der erfolgreichste Olympiareiter des letzten Jahrhunderts, hatte auch die Bitternis jenseits des sportlichen Triumphes zu ertragen. So ein Jahr nach Olympia in der südkoreanischen Hauptstadt. An einem Tag im Juni auf der Fahrt zum CHIO nach Aachen 1989 las ihm Sohn Rolf aus den Verbandesmitteilungen der deutschen FN vor, dass er kein Mitglied mehr wäre im Weltverband der deutschen Föderation, sondern von Dr. Bernd Springorum aus der Vielseitigkeit abgelöst sei. Das Stuhlrücken hatte ihm aus der Reiterzentrale Warendorf niemand mitgeteilt.

Es kam noch deftiger. Aus Journalistenkreisen wurde ihm zugeflüstert, dass er auch für einen Sitz im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nicht mehr gefragt wäre, für ihn habe man den Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) von Deutschland, Walther Tröger, ausgeguckt. Klimke hatte an die Worte von NOK-Präsident Willi Daume geglaubt und auch an Berthold Beitz, den Krupp-Bevollmächtigten und Strippenzieher in Sport und Wirtschaft. Beitz habe sich bisher immer für ihn stark gemacht, so jedenfalls meinte der Münsteraner Goldreiter. Beitz sagte ihm nämlich noch am Telefon, er sei mit Daume und dem IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch (Spanien) zum Essen verabredet, da werde alles besprochen und klar gemacht, er werde sich melden.

Auf den Anruf wartete Reiner Klimke vergeblich. Am Montagmorgen konnte er in seiner Zeitung beim Frühstück lesen, „dass Willi Daume zum Abendessen Walther Tröger mitgebracht hat, und da war mir alles klar…“ Und wie er später erfuhr, hätte sich auch der deutsche FN-Präsident Dieter Graf Landsberg-Velen keineswegs erhoben und für ihn stark gemacht zur Aufnahme ins IOC. Ziemlich verbittert sagte Reiner Klimke dann am 26. August 1989 in Münster: „Ich kämpfe nicht um Ämter.“ Und er sagte: „Ich will mit nichts mehr etwas zu tun haben.“

Blüms Wunschkandidat für NRW-Landtag

Er hatte einen langen Mittwoch hinter sich an jenem Märztag 1990, „aber ich habe mich nun einmal darauf eingelassen, also stehe ich dazu.“ Im Auto auf der Fahrt von Münster nach Petershagen-Bierde in den hintersten Zipfel von Nordrhein-Westfalen kritzelt er Notizen. Sein Thema: „Der Vereins- und Breitensport auf neuen Wegen.“ Sieben Punkte notiert er, darüber hat er etwas zu sagen. Er ist auf Wahlkampftour für die CDU in Nordrhein-Westfalen. Bundesarbeitsminster Norbert Blüm hat ihn für den Landtag vorgeschlagen und gleich auch einen sicheren Listenplatz der CDU-Fraktion garantiert.

Der Vorsitzende des Reitervereins von Petershagen-Bierde rennt unruhig herum, im Saal der Gaststätte „Stehbrink“ brennen alle Lampen, taghell. 23 Männer und zwei Frauen sind da, „es hätten ein paar mehr sein können“, sagt Bürgermeister Wilhelm Krömer, Vorsteher von 29 Gemeinden mit insgesamt 23.100 Einwohnern, „12.000 sind im Sport engagiert“, sagt Krömer. Man wartet, es kommen dennoch keine dazu, Fußball im Fernsehen, meint Krömer, das habe doch viele abgehalten. Reiner Klimke geht zum Redner-Pult. Er fragt, ob er zunächst mal ein Pils haben könnte, „das wäre nett.“ Man bringt das Bier. Er haut auf den politischen Gegner nicht drauf, er nennt lediglich einmal den NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau nur „den Rau“, er sagt, die CDU könne mit Geld wirtschaften, die SPD nicht, „die SPD will alles reglementieren.“ Klimke fordert, arbeitslose Sportlehrer in die Vereine als Übungsleiter zu schicken, „das wäre besser, als Arbeitslosengeld zu zahlen.“ Beifall. Klimke: „Wählen Sie das nächste mal CDU.“

Er wendet sich gegen das Hochziehen von sportlichen Prunkbauten, „es wäre doch viel besser, die vorhandenen Sportanlagen auf dem neuesten Stand zu halten“, meint er, er hat etwas gegen den vom Staat geförderten Sport, „wie früher im Ostblock“, und er hat etwas dagegen, „dass viele Mittel des Landes vor allem ins Ruhrgebiet fließen.“ Beifall. Er wettert gegen jene, „die zum Sportler des Jahres gewählt werden, aber nicht zur Proklamation erscheinen, das ist einfach ungezogen.“ Und so richtig vom Leder zieht er, dass über Verwaltungsgerichte Sport auf Sportplätzen untersagt werden könne, „denn alle jene, die ein Sportverbot wo auch immer fordern, haben sicherlich als Kinder auch geschrien. Neben eine Schule oder nicht allzu weit entfernt gehört ein Sportplatz, wo sich Kinder austoben dürfen..“ Beifall. Klimke weiter: „Wir werden uns dafür einsetzen, dass Geräuschpegelwerte von Sportstätten in Zukunft nicht gleichzusetzen sind mit denen der Industrie.“ Wieder Beifall. Im Gegensatz zu verschiedenen Parteikollegen sei er der Meinung, „dass der Sport nicht im Grundgesetz verankert werden soll. Ich will das nicht, denn das Recht auf freie Entfaltung der Person ist ja bereits im Grundgesetz festgeschrieben.“ Der Sport im Grundgesetz würde das Feindbild bei allen jenen verstärken, die gegen den Sport eingestellt wären. Und zum Schluss sagt er: „Der Sinn des Sports besteht darin, die Freizeit überlegt zu gestalten, nicht aber dazu, Olympiasieger zu produzieren.“

Als erster Olympiasieger zog Reiner Klimke in den Landtag von Nordrhein-Westfalen ein. Norbert Blüm sagte: „Er ist nicht nur ein Vorbild für sieben Millionen Sportler, auch für weitere Millionen, die nicht in einem Verein in Nordrhein-Westfalen oder ganz Deutschland erfasst sind.“

Das Märchen um Biotop…

Reiner Klimke trat mehrmals vom großen Sport zurück. Erstmals 1991, dann aber meinte er, so sei das nicht gemeint gewesen, er wolle nur der Jugend nicht mehr im Wege stehen, vor allem niemanden einen Platz in einer Equipe bei einer Internationalen Meisterschaft oder Olympischen Spielen streitig machen. Doch dann hatte er plötzlich den Hengst Biotop unter dem Sattel, und über die Entdeckung des Trakehners im russischen Gestüt Kirow erfand er ein wunderschönes Märchen. Das sich so anhörte. Also, da habe er eines Tages am Ufer des Don gestanden, auf eine Pferdeherde geblickt und ganz hinten einen dürren, kleinen Hengst stehen sehen. Und ausgerechnet den wollte er haben. Das war eben Biotop. Schön erzählt, eben fürs Märchenbuch. Hätte ja auch so sein können.

Die Wirklichkeit war weniger romantisch. Biotop gehörte zu einem Lot von rund zehn Pferden, das sich der Buchloer Alexander Moksel jährlich in der damaligen UdSSR aussuchen durfte. Moksel, der 1945 als kleiner Metzger begonnen hatte und später ein wahres Imperium im Fleischhandel („Almox“) mit Milliardenumsätzen aufbaute, war auch Pferdenarr. Moksel lieferte Fleisch- und Wurstwaren in die UdSSR und ließ sich durch Pferde entgelten, außerdem unterstützte er auch Turnierreiter aus der Sowjetunion. Als der Turnierstall 1993 aufgelöst wurde, ging Biotop aus dem Besitz der Moksel AG in die neue AG von Chefbereiter Ludger Beerbaum und dessen Partner Ralf Schneider über. Ihnen kaufte Reiner Klimke Biotop ab. „So war das, nicht anders“, sagt Ludger Beerbaum.

Mit Biotop kam wieder Lust auf Olympia bei Reiner Klimke auf, auf Atlanta 1996, zumal die beiden beim Weltcupfinale 1995 in Los Angeles den vierten Platz belegten. Über eine bessere Platzierung hätte sich kein Richter schämen müssen.

Doch dann, aus heiterem Himmel, nahm Reiner Klimke seinen Abschied von der Bühne. Er zog nicht über Land, um sich überall von allen zu verabschieden, er sagte ganz leise Adieu. Auslöser war Biotop. Der inzwischen längst gekörte Hengst zeigte im Training vor dem Münsteraner Januar-Turnier 1998 in den Trabverstärkungen, sonst wahrlich Höhepunkte in den Vorstellungen des inzwischen 13-jährigen Dunkelbraunen, leichte Unregelmäßigkeiten. Klimke zog für das Turnier in seiner Heimatstadt zurück.

Erleichtert wurde der Entschluss zur Aufgabe des Hochleistungssport sicher auch dadurch, dass er auf der Sitzung des Dressur-Ausschusses vom A- in den B-Kader zurückgestuft wurde. Mit ihm gesprochen hatte keiner, „das hätte ich doch erwarten dürfen, ich habe schließlich für den deutschen Dressursport einiges geleistet.“ Dr. Reiner Klimke hätte einen schöneren Abgang von der Bühne des Sports verdient gehabt.

 

 

 


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