Es gibt noch Wunder... |
Geschrieben von: Dieter Ludwig |
Sonntag, 31. Januar 2010 um 10:55 |
Einmalig im Reitsport Mit einem blinden Pferd im Kader Das wunderbare Märchen um ein Mädchen und ein Pferd
Innerhalb weniger Tage erblindete der bildhübsche Wallach Highway. Diagnose des Fachmannes Prof. Dr. Dr. Jozsef Toth: Nicht heilbar. Deshalb wurde die 16jährige Thea Müller seine Blindenführerin - mit phantastischem Erfolg
Der 15. Juli 2006 ist in der ganzen Familie wie in Stein ins Gedächtnis gemeißelt. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub fuhren Mutter Bettina und Tochter Thea-Felicitas sofort in den "Felsenhof Schwelm" am Rande Wuppertals, um nach ihrem Wallach Highway zu sehen. Thea Müller (16): "Heini, so nennen wir ihn, stand in der Box, sah uns mit aufgerissenen, großen Augen an, rührte sich aber nicht, ging uns keinen Meter wie gewohnt entgegen." Der Stalltierarzt kam, er stellte fest: "Das Pferd kann nicht mehr sehen." Schreck, Entsetzen, Hilflosigkeit. Anruf beim deutschen Mannschaftstierarzt Dr. Björn Nolting, der riet sofort, mit dem Pferd in die Tierklinik Hochmoor zum Spezialisten Prof. Dr. Dr. Jozsef Toth zu fahren. Zum eigenen Stress gesellte sich weiterer dazu. Der Rappwallach wollte nicht aus der Box, dann auch nicht auf den Hänger. Er stand wie in Bronze gegossen davor, zitterte. Erst als Thea Bein für Bein des Hannoveraners auf die Rampe setzte, bewegte sich das Pferd langsam nach oben. Prof. Jozsef Toth untersuchte eingehend, die Diagnose war eschütternd. Das mehrseitige Protokoll der Untersuchung endet mit dem Satz: Nicht therapierbar. Highway leidet an der bei Pferden relativ seltenen Krankheit Atrophia Retinae. Die progressive Netzhautverkümmerung ist bei Pferden nicht vorhersehbar, nicht erkennbar bei einer Ankaufsuntersuchung, "eine Heilung ist beim Pferd nicht möglich" sagt Prof. Toth. Für Thea Müller, gerade erst in den Jugendkader des Landesverbandes Rheinland aufgenommen, brach eine wunderbare Welt zusammen. Mit dem sehenden Highway hatte sie bereits eine Platzierung im St.Georg erreicht, sollte nun eine Karriere abrupt zu Ende gehen? Prof. Toth, der sah, wie Mutter und Tochter litten, unterbreitete den Vorschlag, das Pferd in der Klinik zu behalten, "bis eine Entscheidung gefallen ist." Und auch Björn Nolting, Mannschafts-Veterinär der deutschen Dressur- und Spring-Equipen, bot an, das Pferd ebenfalls zu nehmen.
In vielen Fällen endet ein Pferd mit einer solchen Krankheit beim Abdecker, so brutal das auch klingen mag. Wer will mit einem blinden Pferd arbeiten, auch wenn es Wechsel springen kann und im Jahrbuch mit Siegen und einer Gewinnsumme von 2.238 Euro geführt wird, als es mit Blindheit geschlagen wurde? Im Sport zählt keine Vergangenheit, keine Schönheit, nur letzten Endes vor allem Gesundheit, ehrlicher ausgedrückt: Brauchbarkeit. Alles andere ist meist gelogen oder nur schön geredet.
Doch Thea sagte eines Morgens zu ihrer Mutter: "Entweder oder - ich versuche es mal." Das war der Beginn eines wirklichen Märchens. Thea wurde zu einem menschlichen "Blindenhund", zur Bezugsperson. Sie baute zusätzlich Vertrauen in dem Wallach auf, sie brachte ihm bei, auf bestimmte Kommandos zu hören wie: "Stopp - Komm - Pass auf." Das Pferd lernte überraschend schnell. Die Schülerin der zehnten Klasse des Gymnasiums kaufte sich einen Springreiter-Helm, ritt den Rappen zunächst in der Halle der einmaligen Anlage "Felsenhof" in Wuppertal-Schwelm und wagte sich bald ins Gelände. Thea Müller: "Heini ging Trab und Galopp auf den Reitwegen, auf für mich nicht erklärbare Weise immer in der Mitte des Weges. Bis heute ist er nicht ein einziges Mal gestolpert." Wenn sie in die Box kommt und der Rappe liegt noch, "dann bewegt er sich nicht, er steht erst auf, wenn ich wieder außerhalb der Box bin, er möchte mich nicht verletzten, was ja beim Aufstehen oder Wälzen in der Box nicht außergewöhnlich wäre. Ich merkte rasch, der Wallach orientiert sich an Gerüchen und Geräuschen, vor allem wurde mir bald eines klar: Er kann mit seinem Blindsein leben. Ich habe nicht den Eindruck, als wäre er unglücklich."
Die Architektentochter opferte aber auch gleichzeitig mehr als einen Teil ihres jungen Lebens für das Pferd, sie übernahm auch die schwere Last der Verantwortung für ein Geschöpf, dessen Sprache sie noch intensiver erlernen musste. Alles fordert immer volle Konzentration, auch das Trockenreiten in der Halle, "denn Heini sieht ja nicht, ob er nun vielleicht auf eine Bande zuläuft oder gegen einen Gegenstand." Stundenlang hält sie sich im Stall auf, beschäftigt sich mit dem elfjährigen Rappen, dessen Großvater der Trakehner Caprimond ist und der mütterlicherseits das Weltmeyer-Blut führt. Thea Müller: "Ich stand natürlich auch selbst vor der Frage: Soll ich weiterreiten oder aufhören? Hätte ich Heini verloren, wäre das auch für mich das sportliche Ende gewesen."
Nachdem der bisherige Heimtrainer anscheinend keinen Spaß mehr fand, mit einer Reiterin auf einem blinden Pferd zu arbeiten, rief
Die Story mit Vorgeschichte um den bildschönen Rappen könnte auch von einem Romaneschreiber erfunden sein. Bei einem Gänseessen nämlich in der "Knittkuhl" in Düsseldorf sagte die Restaurant-Chefin Susanne Theelen zu Theas erster Trainerin Heidi Bemelmans und
Nach Ansicht einer Videocassette packte Das Märchen scheint noch lange nicht zu Ende. Thea Müller blieb mit dem blinden Pferd weiter im Kader und reitet Turniere, wie zum "Preis der Besten". Landestrainer Wolfang Winkelhues aus Köln: "Ich wollte das alles nicht glauben, als ich davon hörte. Ich sagte nur: Verladen, zu mir kommen und vorreiten. Ich traute dann meinen Augen kaum, wie der blinde Wallach seine Lektionen herunterspulte. Ich sage nur: Toll für das Pferd, toll für das Mädchen und toll für unseren Sport." Prof. Dr.Dr. Jozsef Toth: "Ich kenne keinen ähnlichen Fall im Pferdesport, wenigstens nicht in Europa. Ich freue mich, dass die Familie eine solch` positive Entscheidung gefällt hat."
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